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Kultur: Der Koran erklingt am Park Sanssouci

Zu Besuch in der islamischen Gemeinschaft: die meisten dieser religiösen Familie sind Deutsche

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Wenn die Zeitungen und die Fernsehkanäle voll sind von Informationen über den Islam und die Gefühle der Muslime, wie in der letzten Zeit, dann scheint diese fremde Welt sehr nah. Ein trügerisches, weil fast ausschließlich durch die Medien vermitteltes Wissens entsteht. Der andere Glaube, das andere Lebenskonzept, je mehr es von Experten erklärt wird, wird zu etwas Abstraktem, das der Wissenskonsument zu beherrschen glaubt. Das Fremde rückt nahe, für manche bedrohlich, ohne dass ihm begegnet wird.

Potsdam ist ein Paradebeispiel für einen scheinbar muslimefreien Raum. Kopftuch und Bärte sieht man äußerst selten im Straßenleben. Dennoch gibt es einen Ort, an dem eine Begegnung mit dem Islam auf ganz herzliche und unaufdringliche Weise möglich ist. Die Islamische Gemeinschaft am Sanssouci Park in der Weinbergstraße 21 tut gut daran, mit einem freundlich gestalteten Faltblatt auf ihre sonntägliche Vortragsreihe aufmerksam zu machen.

Es ist ein stattliches Anwesen. Im Flur werden einem Pantoffeln angeboten, Straßenschuhe bleiben draußen. Abdarrahman führt durch die zwei großen Räume. Große Teppiche liegen auf dem Boden, bis auf eine gemütliche Sitzgruppe sind keine weiteren Stühle vorhanden. Für Vorträge und Lesungen, ja auch Speisungen, wird hier auf dem Boden gesessen. Abdarrahman ist Deutscher. In einem anderen Namensraum heiße er Karl. Beide Namen gefallen ihm. Der religiöse auch, weil er ein Ziel beinhaltet. Abdarrahman bedeutet Diener des Barmherzigen. Auch seine Frau, mit der er vor einem Jahr zum Islam konvertiert ist, ist keine gebürtige Muslima.

Die überwiegende Zahl der vielleicht 15 Familien, die an diesem Ort ein religiös geprägtes Zusammenleben pflegen, sind Deutsche. Sie sind jung und haben Kinder. Während die Männer an diesem Sonntag morgen langsam in den Gesellschaftsräumen im Erdgeschoss eintrudeln und sich mit einem „Salam Alaikum“ begrüßen, bereiten in den oberen Räumen die Frauen das Essen vor und beaufsichtigen die zwanzig Kinder. Mehmed Malik sagt, dass die Frauen dieses Leben sehr schätzen, zusammen kochen, beten und reden. Sie würden die Gemeinschaft eigentlich zusammen halten. Mehmed heißt mit Nachnamen Schröder. Er sagt, er hätte alles durchprobiert: Buddhismus, Hinduismus. Wer Skeptiker ist, sagt der Ostdeutsche, der lande beim Islam. Ihn hätte immer die Verlässlichkeit der Quellen interessiert. Die Herkunft des Koran wäre noch nie in Zweifel gezogen worden. Mehmed erklärt, was den Islam für ihn so anders macht. Er sei kein Konstrukt wie andere Religionen, sondern eine Tätigkeit.

Jeder Besucher, auch wenn er fremd und nur neugierig ist, findet sich im Schneidersitz im Kreis auf dem Boden wieder. Auch Frauen kommen dazu, den Koran zu lesen. Sie sitzen alle auf einer Seite, sind aber Teil des Kreises. Qur´an steht auf den Büchern und Kopien. Ein sonorer arabischer Singsang beginnt, der entfernt an afrikanische Gesänge erinnert. Mahmud, ein schon älterer Amerikaner mit einer besonders prächtigen Koranausgabe, liest mit einer etwas lauteren Stimme, an der sich die anderen orientieren können. Die Melodie ist faszinierend und klingt kompliziert. Tatsächlich folgt man hier einer Rezitationstechnik, die aus Nordafrika stammt, Marokko, Tunesien und Nigeria. Die Gemeinschaft in der Weinbergstraße zählt sich zu den Shiiten in der Schule des Imam Malik. Die Sunniten, sagen sie, wären eine Sekte.

Es ist immer dieselbe Stelle, die bei der gemeinsamen Rezitation vorgetragen wird. Sie dauert 25 Minuten, während derer Neuankömmlinge den Raum betreten und einfach einstimmen. Keiner fühlt sich gestört, man rückt einfach zusammen. Die Lesung, so wird erklärt, erfolge in Arabisch, denn das sei die heilige Sprache, die Sprache Allahs. Allah wäre diese Sprache. Übersetzungen ins Deutsche oder Englische könnten das nicht transportieren.

Es folgt ein kurzer Vortrag von Abdalbarr Brown: ein Amerikaner, der seit 1989 in Deutschland lebt. Er sagt, die gegenseitigen Beleidigungen in der letzten Zeit gründen sich auf Unwissenheit. In seinem Vortrag erklärt er das oberste Prinzip der „Göttlichkeit“ und Taohit, das Prinzip, dass „alles eins ist.“ Auch Goethe hätte einen Drang nach universeller Einheit gespürt. Er wäre kein Prophet, aber nah am Islam gewesen, sagt Abdalbarr. Dann geht es um die Propheten und Gesandten. Moses, Jesus, Abraham – der im Islam Ibrahim heißt – und Noah gelten auch im Koran als Gesandte.

Nach dem Vortrag werden Kunststofftischtücher auf den Teppich gelegt. Für alle gibt es Suppe und Kuchen. Seit Jahrhunderten werde Wissen von Mann zu Mann und Frau zu Frau im Gespräch weitergegeben. Das passiere nun gleich hier, erklärt Mehmed. Die Gastfreundschaft ist groß, man solle bitte noch den Espresso miteinander trinken. Mahmuds selbstgeröstete Bohnen ergäben den besten in Potsdam.

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