Von Gerold Paul: Der lachende Kick zum Schluss
Unidram endete am Wochenende erfolgreich mit der langen Nacht der Experimente
Stand:
Aus der Sicht des bekannten Potsdamer Malers Olaf Thiede wird ungefähr „ab 1300“ experimentiert. Wie das etwa 660 Jahre später aussah, zeigt das Fluxus-Museum in der Schiffbauergasse. Ganz aktuelle Experimente erlebte man dort am Sonnabend zum Abschluss der 16. Unidram-Ausgabe. Vorauszusetzen ist ja, dass man „Kunst“ zu einer „Welterkennungs-Frage“ macht. Egal, zumindest aus der Versuchsanordnung soll erkennbar sein, was und wozu da gesucht wird.
Das schien bei dem Schweizer Samuel Stoll nicht so leicht. Einerseits war er Open air durch Schläuche mit vier Stürzen von Blechblasinstrumenten verbunden, andererseits brüllte er martialisch, blies, was er gelernt hat, in sein Horn, bevor ihn der letzter Seufzer ereilte. Seine sechsminütige Klang-Performance „gsssrr_funöiu_sttt_zack“ war auch ohne Happy End nicht ohne. Zu lernen, vielleicht, wie sich rezeptives Mitleid mit dem armen Kerl in einem regte.
„Psst, der Schöpfer des Universums hat sich in eine Tänzerin verliebt und sie überallhin verfolgt. Nun ist er müde und schläft. Sie können sich inzwischen seine Maschinerie ansehen, aber leise!“, kündete Antoine Birot von Le LaRio dem wartenden Publikum dann an anderer Station der „Langen Nacht der Experimente“ an. Diesmal im T-Werk. Um diese Geschichte poetisch zu erzählen, ließ er nichts unversucht, alles, was sich dreht, mit einem Gelenk zu versehen und ein Geräusch zu erzeugen. Vom Altklavier bis zu Nähmaschinen-Schwungrad war alles dabei. Diese Unidram Experimente-Nacht befasste sich ja mit Rädern und mit Mechanik. Die Tänzerin – eine wenige Zentimeter große Figur, der Weltschöpfer für Menschenaugen nur ein Schemata. Per Animation und Schattenspiel vollzieht man seine lange, letztlich erfolgreiche Suche nach, bis der Schöpfer seine kleine Tänzerin vor der Kulisse einer mechanischen Welt schwungvoll umtanzt. „Die Prophezeiung der Mécas“ ist ein schlagender Beweis, dass die Phantasie auch vor dem Instrumentarium der alten „machina mundi“ jenseits des Diesseits nicht Halt macht. Das Spiel wurde mit dem „Augenzwinkern“ des Akteurs recht witzig abgeschlossen.
„Motel – First Room“ auf dunkler Off-Bühne (bei Unidram gab es keine vierte Wand) ist grandios gemacht: Ein Zimmer mit spärlicher Ausstattung, ein gutgekleidetes stummes Pärchen ohne jede menschliche Regung demonstriert vor, auf, unter oder hinter dem Tisch „eine Beziehung“. Alles ist steril, die Abläufe geschehen im szenischen Staccato. Dazu eine Toncollage, die zuletzt Herzschrittmacher zum Beben brachte. Das Experimentelle der „Gruppo Nanou“ aus Ravenna: Alle Vorgänge werden minutiös rückwärts gespielt! Eine erstklassige, hervorragend umgesetzte Idee, die man „richtig herum“ nur schwer zusammenkriegt.
Von CaboSanRoque aus Barcelona erfuhr das höchst interessierte Publikum dann schließlich, wie man aus und mit Waschmaschinen ein „mechanisches Konzert“ komponiert, das Berliner Tanztheater MS Schrittmacher zeigte mit „Wahllos reloaded“ den ständigen Auswahl- und Wegwerf-Prozess in dieser Gesellschaft, und wie Menschen sich dazu verhalten.
Das kurze Trainspotting „Track“ im Vorführraum des Fluxus-Museums musste niemand verpassen, es wurde mehrmals wiederholt. Vincent de Rooij und Daan Mathot experimentierten mit Film, mit sich und dem Publikum. Ein Kurzfilm entsteht auf der einen Seite, gegenüber wird er als fertiges Produkt auf die Wand projiziert. Rasante Eisenbahnfahrten wie nach Arthur Honegger, durch den Kopf eilendes Zelluloid, Off-Blues aus dem Mund einer alten US-Nonne – jene acht Minuten hatten die ästhetische Qualität der besten Experimente der zwanziger Jahre. Zuletzt wurde, Pfffh! ein Ventil imitiert, der heitere Kick.
Ein erfolgreicher Festival-Schluss also? Na klar! Experiment gelungen, Fortsetzung folgt – vielleicht ...
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: