zum Hauptinhalt

Kultur: Der Maler mit der Kettensäge

Ausstellung zum 55. Geburtstag des bekannten Bildhauers Hans Scheib im Kunsthaus Potsdam

Stand:

Ausstellung zum 55. Geburtstag des bekannten Bildhauers Hans Scheib im Kunsthaus Potsdam Von Götz J. Pfeiffer Am Anfang steht der Block. Dann kommt der Bildhauer. Er schleicht um ihn herum wie der Kater um den sprichwörtlichen heißen Brei. Er sieht im groben Klotz schon die spätere Figur, formt sie mit den Augen. Und schließlich wirft er seine Kettensäge an. Aufjaulend beißen sich die Zähne in das Holz. Die Säge wird dem Bildhauer dann zum Pinsel. Wer derart die Arbeitsweise Hans Scheibs beschreibt, weiß genau Bescheid. Denn Peter Herrmann ist selbst Maler und teilte jahrelang in Berlin mit seinem malenden und zeichnenden, Bilder druckenden und bildhauernden Freund ein Atelier. Zum 55. Geburtstag stellt dieser eine kleine Werkauswahl in seiner Geburtsstadt Potsdam aus, im Kunsthaus auf dem Gelände der ehemaligen Ulanenkasernen. Es ist wohl dem schmalen Budget der Ausstellung geschuldet, die trotz des internationalen Rangs der ausgestellten Werke allein vom Kunsthaus-Verein und der Mannheimer Galerie Kasten bestritten wird, dass Skulpturen nur aus den Jahren 1999 und 2002 wie auch ältere Holzschnitte eines Kalenders von 1996 zu sehen sind. Doch auch ohne neueste Werke und trotz des bedauerlichen Fehlens wenigstens einer von Scheibs beeindruckenden Bronzeskulpturen, führen die zehn Werke unzweifelhaft vor Augen: Hans Scheib erhielt zu Recht das ihm immer wieder zugedachte Urteil, einer der prägenden und wichtigsten deutschen Bildhauer der Gegenwart zu sein. Seit dem Studium an der Dresdner Hochschule für bildende Künste in den 70er Jahren entwickelte er seine eigene, figürliche Bildsprache. Trotz aller unleugbaren – und ungeleugneten – Orientierung an den hölzernen Bildwerken des deutschen Expressionismus, haftet Scheibs Arbeiten nichts Kopistenhaftes, keine Spur von Eklektizismus an. Frisch und unmittelbar im Zugriff auf Thema und Motiv sind gerade seine Skulpturen. Und so treten sie auch ihrem Betrachter im Kunsthaus Potsdam entgegen, sprechen dessen Auge an, nehmen dessen Gefühl in Anspruch und fordern, Position zu ihnen zu beziehen. Mit ausgebreiteten Armen und geöffneten Händen begrüßt eine überschlanke Frauenfigur am Beginn der Ausstellung. Wie viele der Gestalten Scheibs ist sie nackt, doch bei aller Nacktheit ist sie nicht entblößt. Auch bedarf es, um ihren Gefühlsausdruck zwischen erwartungsvollem Erschrecken und banger Erwatung auszuloten, mehr als eines schnellen Blickes. „Spectrum“, Titel dieser Arbeit, kann man programmatisch verstehen, zeigen sich hier doch sowohl die Figur als häufiges Motiv wie auch ihre Unmittelbarkeit als Kennzeichen der Arbeiten Scheibs. Indem sich das Kunsthaus in der Werkauswahl auf Scheibs lebensgroße Frauenfiguren konzentriert, kann es gerade mit dieser motivischen Engführung die Breite seiner künstlerischen Möglichkeiten vor Augen führen. Erschreckt und gleichsam darin erstarrt schaut wie „Spectrum“ auch „Columbine“ aus großen, wachen Augen. Doch das kurze, rote Röckchen, das sich im Fall aufs Hinterteil gelüftet hat und den Blick bis über den Saum der schwarzen Strümpfe frei gibt, ist nur der äußerliche Anlass. Letztlich inszeniert Scheib den Moment, um seinem Betrachter einen Gefühlszustand vor Augen zu führen. Nicht anders ist dies bei „Ruth“, die mit geradezu magischer Präsenz vor und über dem Betrachter steht, nicht anders auch bei „Alma“, die peinlich berührt die Fußspitzen zusammenführt, verschämt ein Tuch vor die Scham hält und doch mehr zu erkennen gibt als verhüllen kann. Doch nicht im Spiel von Verhüllen und Entblößung, seit Jahrtausenden von Künstlern geübt und auch von Scheib variantenreich beherrscht, erschöpft sich das Anziehende und erklärt sich die Qualität der ausgestellten Skulpturen. Auch dass sie die Wahrnehmung ihrer Betrachter empfindlich für ihre Reize machen wollen, ist so erlaubt wie bloß ein Mittel der skulpturalen Sprache Scheibs. Entscheidend – und gefordert – ist, dass der Betrachter sich in ein Verhältnis zu seinem künstlerischen und doch menschlichen Gegenüber setzt. Unter diesem Blickwinkel erschreckt die Dame „Spectrum“ mit aufgerissenen Augen im Moment des eigenen Erkennens, zeigt sich die schamhaft verhüllte „Alma“ als personifizierter Zweifel und die nackte „Ruth“als Figur gewordenes Selbstbewusstsein. Ohne Szenen zu entwerfen, erzählt Scheib Geschichten. Auch ohne Leinwände schafft er Bilder. Er ist ein Maler mit der Säge. Bis 27. Juni im Kunsthaus Potsdam, Ulanenweg 9. Täglich 12-17 Uhr, Künstlerheft 7,50 Euro.

Götz J. Pfeiffer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })