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Hat seinen Kopf immer lieber selbst benutzt. Der Musiker Olaf Mücke.

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25 Jahre Deutsche Einheit: Gespräche über Freiheit (VII): „Der Mensch bestimmt, wie er lebt“

Was war, was ist, was bleibt: Warum der Musiker Olaf Mücke in der DDR von der Schule flog und trotzdem nie ausreisen wollte.

Stand:

Herr Mücke, woran liegt das, dass bei Fragen zum Thema Osten oft eine große Zaghaftigkeit vorherrscht, noch heute?

Das ist die Zeit, denke ich. Ich habe auch überlegt, was ich zum Thema zu sagen habe, bevor wir uns verabredet haben. Vor Kurzem wurde bei mir saniert, da waren permanent Handwerker bei uns. Alle sehr nett, wir haben uns ab und an unterhalten. Ein älterer war dabei, ein ehemaliger NVA-Offizier, der sagte zu mir: Sie sind mir ja einer, Bausoldat! Das hatte er im Internet gelesen. Was man öffentlich sagt, bleibt eben da.

Wie kam es zu der Entscheidung, Bausoldat zu werden, also den Dienst an der Waffe zu verweigern?

Ich war in der Kirche, da hat sich das fast von allein ergeben. Die Frage, ob man zur NVA geht, stellte sich zwar trotzdem, aber wenn man sagte, dass man gläubig war, dann war man sowieso abgeschrieben. Damit hatte man dann eben den Stempel „Dissident“. Obwohl ich das nie war. Aber wie es so schön heißt: Ist der Ruf erst ruiniert ... Nur bei der Lehre hatte ich deswegen Probleme.

Welche Probleme gab es da?

Ich ging damals ja auf die Helmholtz-Schule, eine Spezialklasse für Musik. Ich wollte Musiklehrer werden. Und im ersten Jahr kam dann für mich über Freunde die Kirche dazu. Dabei ist niemand fromm in meiner Familie, sogar meine Urgroßmutter war atheistisch. In den Sommerferien hatte sich für mich viel verändert, und danach bin ich aus der FDJ ausgetreten. Da haben sie mich von der Schule geschmissen, auf ziemliche miese Art. Der Direktor war ganz freundlich gewesen, hatte nach meinen Beweggründen gefragt und mich gebeten, alles mal aufzuschreiben. Dusselig wie man so ist mit 15, habe ich das gemacht. Danach hieß es dann: Ganz klar, die Weltanschauung passt nicht hierher. Schließlich sollten wir zu Lehrern ausgebildet werden, und das Wichtigste am Lehrerberuf war damals, dass man den Kindern Marxismus und Leninismus nahebringt.

Vor allem im Musikunterricht unverzichtbar!

Eben. Und weil ich das nicht vertreten konnte, musste ich runter von der Schule. Dann ging ich wieder zurück in meine alte Schule, habe die 10. Klasse zu Ende gemacht. Danach wollte ich eine Lehre machen. Nichtstun war ja schwierig zu Ostzeiten. Zusammen mit meinem Vater habe ich alle möglichen Betriebe abgeklappert. Aber keiner hat mich genommen, obwohl ich ein gutes Zeugnis hatte. Nur stand da eben immer auch, dass ich nicht in der FDJ war. Mein Vater war selber Lehrer in der Berufsschule und hatte erfahren, dass es noch Plätze in einer Klasse der Werkzeugbauer gab. Da meldete er mich an. Die hatten das Zeugnis nicht gelesen, mich also einfach so eingestellt, weil sie meinen Vater kannten. Später haben sie das dann mitgekriegt und meinen Vater richtig unter Druck gesetzt: Ihr Sohn muss in die FDJ! Mein Vater sagte aber: Wo steht das? Er erklärte mir, dass vieles mit der FDJ einfacher wäre. Aber hat er letztlich immer gesagt: Es ist deine Entscheidung.

Und es kam nie infrage für Sie, wie viele andere zu sagen: Ich empfinde zwar anders, aber aus pragmatischen Gründen ziehe ich die Mitgliedschaft jetzt durch?

Nee. Viele im Osten haben ja einfach alles mitgemacht. Ganz viele haben sich einschüchtern lassen. Meine Eltern haben mich aber so erzogen: Mach dir selber nen Kopf, es ist dein Leben. Und mir war das eigentlich wurscht, ob ich Werkzeuge in der Hand hab oder Küken zählen gehe. Jedenfalls sagte mir die Schule dann: „Wenn Sie nicht in die FDJ eintreten, müssen wir das Lehrverhältnis lösen.“ Darauf mein Vater: „Wieso, wo steht denn das bitteschön?“ Das rechne ich meinen Eltern sehr hoch an, dass sie meine Geschichte mit der Kirche respektiert haben, obwohl das für sie völlig gaga war. Und es hat funktioniert, ich blieb auf der Schule. Das war alles Bluff gewesen. Ich glaube, dass im Osten ganz viel über Bluffs lief. Wie heute übrigens auch.

Wenn Sie die Zivilcourage beschreiben, klingt das sehr einfach, sehr selbstverständlich.

Ich denke, im Wesentlichen bestimmt der Mensch es selber, wie er lebt. Es gab ja Leute, die wirklich von der Stasi auseinandergenommen wurden, schlimme Dinge erlebt haben. Das war bei mir aber nicht so. Ich habe danach mal in meiner Stasi-Akte gelesen. Denen ging es wirklich immer nur darum, ob ich ausreisen wollte. Wollte ich aber nie.

Kam Ausreisen nie infrage für Sie, weil Sie sich keine Angst machen ließen, sich nicht eingeschränkt fühlten?

Na ja, ich habe mich schon eingeschränkt gefühlt. Wir hatten kein Telefon, grauenhaft! Ich konnte nie einfach in einen Laden gehen und Gitarrensaiten kaufen. Aber komischerweise bin ich nie auf die Idee gekommen, das Land zu verlassen. Meine Mutter war mal im Westen auf Reisen, kam zurück und sagte: „Der Wohlstand ist toll, daran hab ich mich aber nach drei Wochen gewöhnt. Aber die Probleme, die die haben, möchte ich nicht haben.“ Und ich dachte: Rüber, wofür?

Fürs Reisen? Amerika, die Welt des Swing? Ist doch Ihre Musik!

In Amerika war ich bis heute nicht. Hätte ich hingewollt, wäre ich inzwischen da gewesen. Ich würde heute viel lieber nach Russland fahren und dort spielen. St. Petersburg oder so.

Die Wende begann ja zum großen Teil in den Kirchen. Inwiefern kamen Sie damals damit in Berührung?

Wenig. Ich war in einer Freikirche, und die waren wirklich nicht politisch. Bei uns ging’s wirklich um das Evangelium (lacht). Das war für den Staat sehr harmlos. Außer, dass man in seinen Entscheidungen sicher autonomer war. Man hatte eben ein gewisses Gottvertrauen, dass die Wege schon gelenkt werden. Es war eine tolle Zeit, die ich nicht missen will. Aber später war mir das dann zu eng. Wenn Leute glauben, die Antwort gefunden zu haben, das ist nichts für mich. Denn das Leben geht ja weiter. Die Wirklichkeit ist anders als alle fertigen Theorien oder blumigen Versprechungen.

War das nicht auch das Problem des Sozialismus? Man hatte die große Antwort gefunden, aber das Leben ging seinen eigenen Weg.

Genau, der Mensch tickte einfach anders. Aber das wurde unter den Teppich gekehrt. Und was passiert, wenn man das macht? Es gärt und wird alles noch schlimmer.

Gegen Ende der DDR spielten Sie in einer Gala-Band und konnten vom Musikmachen gut leben. Nach der Wende dann nicht mehr, oder?

Überhaupt nicht. Ich hatte vor der Wende über eine externe Prüfung einen Schein als Berufsmusiker bekommen. Manche Scheine sind ja wie Gelddruckmaschinen, damals wie heute. Damit hatte ich gleich einen Job in einer Band bekommen. 1989/1990 spielten wir ein buntes Programm im Berliner Varieté-Theater. Das lief sehr gut, bis zum Tag der Währungsunion. Am Tag drauf verirrten sich dann noch vier Westberliner zu uns. Es lief einfach nicht mehr. Die Leute wollten ihr Westgeld nicht mehr für Kultur ausgeben – wahrscheinlich eher für ein Auto.

Und dann? Sie sind Taxi gefahren?

Erst mal habe ich renoviert, als richtiger Tagelöhner. Dann hatte ich einen Job in einem Sanitärgroßhandel. Ich hatte den Job über einen Bekannten bekommen, nach dem Motto: „Gabelstapler fahren, kannste so was?“ – „Klar kann ick so watt!“ Das war ziemlich speziell, aber ich hatte einen Job.

War das nicht bitter? Gerade noch gut verdienender Musiker, dann neues Geld, neues Land, keine Arbeit mehr und Sie fahren mit dem Gabelstapler durch die Gegend?

Hat Spaß gemacht! (lacht) Natürlich war das ein Einschnitt. Aber was hätte ich machen sollen? Rumheulen, ich bin der große Künstler? Das lag mir nicht. Und ich hatte zwei Kinder.

Waren Sie traurig über den untergegangenen Staat?

Schon. Darüber, dass eine Chance vertan wurde, dass wir so eingemeindet wurden. Das fand ich nicht gut. Etwas Eigneres hätte ich besser gefunden, eine Begegnung auf Augenhöhe. Es waren ja doch zwei Kulturen, die da aufeinandergeprallt sind. Ich erinnere mich an ein Kirchentreffen in Ungarn, wo die Westdeutschen ihr eigenes Essen für alle mitgebracht hatten. Für uns aus dem Osten hieß das: zum ersten Mal Schokomüsli! Wir haben gefressen wie die Raupen und nach einer Woche war das Essen fast alle. Dann gab’s Diskussionen, ob wir uns nicht mal mäßigen könnten. Das fand ich total befremdlich. Warum denn nicht die erste Woche wie im Westen essen, die zweite dann wie im Osten? Es gab ja in Ungarn alles zu kaufen! Wenn man schon mal was zusammen macht, dann ist es doch cool, wenn man sich auch kennenlernt, dachte ich. Dann gibt’s eben eine Woche mal Ostmarmelade, kann man doch machen!

Ist das ostdeutsch: flexibler sein? Durch die Erfahrung der Wende, dass sich die Dinge ganz schnell ändern können?

Die Flexibilität war schon vor der Wende da. In vielen Betrieben zum Beispiel. Ich habe als Werkzeugbauer gut und gerne mal einen halben Tag lang eine Schraube in passender Größe gebaut, die es gerade nicht gab. Man musste viel improvisieren. Im Westen muss immer erst mal „jemand kommen“. Im Osten wusste man: Da kommt so schnell keiner.

Das Gespräch führte Lena Schneider

Olaf Mücke, aufgewachsen in Potsdam, ist Gitarrist und Kopf des Mueckenheimer Trios. Dessen groovender Mix aus Country, Swing und Punkrock mit lateinamerikanischen Einflüssen gilt vielen als Potsdams Starorchester in Sachen alternativer Tanzmusiken.

Dabei war Mückes Musikkarriere nach der Wende ein paar Mal ins Stocken geraten. Zuerst, als er sich als junges Kirchenmitglied gegen den Dienst an der Waffe bei der NVA entschied und deshalb „nur“ Bausoldat wurde.

Nach der Wende musste er sich dann erst noch einmal neu sammeln.

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