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Kultur: Der Mensch hinter der Machtfigur

Uraufführung von Screaming Popes heute in fabrik

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Uraufführung von Screaming Popes heute in fabrik „Ich glaube, dass dies eines der größten Porträts ist, die je gemacht worden sind, und ich davon geradezu besessen war. Ich kaufte jedes Buch, das die Abbildung dieses Papstes von Velazquez enthält, weil es mich einfach verfolgt und sogar alle Arten von Gefühlen und Bereiche der Phantasie in mir freilegt.“ Es war das Bild „Innozenz X“, das den britischen Künstler Francis Bacon über Jahrzehnte in den Bann zog und ihn zu seiner Papstserie animierte. Das Velazquez-Papst-Porträt verwandelte Bacon indes zu einem schreienden Monster, zu einer Darstellung menschlicher Qualen. Diese Bacon-Bilder waren es wiederum, die der kanadischen Choreografin Marie-Josée Chartier einen Stachel unter die Haut trieben. Seit über zehn Jahren schwebt dieses Papst-Thema über sie. Zwei Stücke hat sie bereits zu Bacon erarbeitet. Doch die Vielschichtigkeit seiner Werke und die große Emotionalität nimmt sie noch immer gefangen. Nun möchte sie in der neuen Choreografie eine weitere Dimension für sich abtragen. „Es ist die Intensität des Gemäldes und vor allem der Schrei, der mich beeindruckte. Es geht nicht um den Papst, sondern um den Menschen hinter der Machtfigur, um die männliche Psyche und männliche Rituale.“ Es werden gleich drei Päpste sein, die ab heute zur Uraufführung auf der Bühne in der fabrik stehen, und allmählich ihre schweren Hüllen fallen lassen. Einer von ihnen wird durch fabrik-Tänzer Sven Till verkörpert. Es war sein Äußeres, aber vor allem auch seine Energie, die ihn für „Screaming Popes“ interessant machten. Marie-Josée Chartier kennt sich gut in der fabrik aus, schließlich gastierte sie hier bereits als Tänzerin und war auch zu den Tanztagen im vergangenen Jahr dabei. So konnte sie auch Sven Till während der Proben zu dem inzwischen preisgekrönten Stück „Pandora 88“ erleben. Im Dezember 2003 zog sich das „bilaterale“ Künstlergespann für drei Wochen in die Weiten Kanadas zurück und begann erste Fäden für die Koproduktion zu spinnen. Auch der Potsdamer Komponist Alex Nowitz war dabei, um seine Musik gemeinsam mit der Choreografie wachsen zu lassen. Sie arbeite gern mit zeitgenössischer Musik, erzählt die Choreografin, die auch immer mal wieder bei Opernproduktionen mitwirkt. Um für das Thema zu sensibilisieren, gab es erst einmal viel Improvisation. „Dabei setzten wir uns mit Ritualen und Religionen auseinander, auch die Idee der Dreifaltigkeit kristallierte sich dabei heraus: Eine schöne Zahl für Dynamik.“ Sie legten zum Anfang geliehene liturgische Kleidung an, um mit der Schwere zu arbeiten. „Das war wichtig für die Bewegung.“ Auch heute zur Premiere werden die drei Päpste anfänglich in schweren Umhängen auftreten, die Symbole und Farben der Kirche benutzen, aber sehr frei damit umgehen. Die Kostüme werden im Verlauf des Stückes immer leichter und unauffälliger und enden schließlich im schlichten Weiß. Durch die Improvisation und das Input der Darsteller seien viele Sachen entstanden, die sie vorher nicht erahnt habe, so die Choreografin. „Für mich als Frau ist es natürlich interessant, aus welchem Stoff die Männer sind, wie sie fühlen, was ihre physische Kraft bedeutet.“ So trieb sie auch bewusst in eine bestimmte Richtung, um tiefer zu gehen. „Das hat viel aufgewühlt, ohne allerdings in persönliche Probleme abzugleiten oder eine Analyse zu versuchen. Es ging um Energien, die freigesetzt werden und um die Überraschungen, mit denen ich gerne jongliere.“ Seit 12 Jahren arbeitet die Kanadierin mit einer Frauengruppe. Das jetzige Männertrio sei ein guter Ausgleich gewesen. „Der Unterschied besteht vor allem in der Kommunikationsebene: Frauen sind unmittelbarer, mit Männern muss man manchmal einen anderen Weg finden, um sie zum Sprechen zu bringen. Sie brauchen mehr Zeit, sich zu öffnen.“ „Screaming Popes“ wird keine lineare Geschichte erzählen, aber auf eine Entwicklung der Figuren zulaufen. Am Ende des intensiven Probenprozesses stehe eine sehr präzise und bis ins letzte Detail durchdachte Choreografie. „Nur in den subtilen Momenten hat der Darsteller noch die Möglichkeit für eigene Interpretationen.“ Es werde ein sehr theatralisches Stück, ein polyphoner Klang aus Licht, Musik, Sprache und Bewegung, macht die Künstlerin, die erst mit 19 Jahren ihre ersten Tanzschritte unternahm, neugierig. Inzwischen kann sie auf eine 25-jährige Laufbahn als Tänzerin und Choreografin zurückblicken: 25 abendfüllende Produktionen, zahlreiche Soli und auch Choreografien für Oper, Film und Fernsehen stehen bei ihr zu Buche. Und immer wieder ist es die zeitgenössische Bildende Kunst, die sie zu neuen Arbeiten inspiriert. So liegt es auf der Hand, dass auch das Bühnenbild stark durch sie geprägt ist. Bei „Screaming Popes“ ist es sehr zurückhaltend, nur ein flexibel formbarer Metallrahmen setzt immer wieder andere Bildausschnitte in Szene, erinnert an die Schnittflächen und Ebenen in Bacons Malerei. „Das Stück lässt viel Raum für eigene Interpretationen“, so wie auch Bacons Gemälde ganz unterschiedliche Gefühle herauf beschwört. Heidi Jäger Premiere, heute, 21 Uhr, in der fabrik, ebenfalls zu sehen: 4., 5. sowie vom 9. bis 12. September, jeweils 21 Uhr, Schiffbauergasse 1.

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