Kultur: Der Mond war aufgegangen
„Im Garten vorgelesen“ weit gereist: Diesmal wurde in Brielow bei Brandenburg gelesen
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„Im Garten vorgelesen“ weit gereist: Diesmal wurde in Brielow bei Brandenburg gelesen Bei Familie Gitta und Ekkehard Bräuer in Brandenburg-Brielow soll sich der schönste Garten unseres Bundeslandes befinden. Kein Geringerer als Hermann Göritz hat ihn Mitte der siebziger Jahre zusammen mit dem Hausherrn angelegt. Dieses geheimnisvolle Schattenreich zog am Freitag, bei der ersten von acht diesjährigen URANIA-Veranstaltungen „Im Garten vorgelesen“, alles Entzücken der großen Besucherschar auf sich, zusammen mit den Hausgästen der Familie immerhin 170 Personen, ein Rekord für die Damen um Renate Bormann, aber auch für das hilfreich-befreundete Grün- und Verkehrsflächenamt, welches in Sachen Bestuhlung tatkräftig mittut; die Kultur von der städtischen Verwaltung Potsdam ist ja dankenswerterweise auch immer dabei. Von Potsdam fuhr ein vollbesetzter Sonderbus zum Idyll, Familien kamen zu dritt, ja zu viert. Klaus Büstrin hatte diesen Abend mit viel Liebe und Freundlichkeit als Hommage an den nicht so bekannten Dichter Matthias Claudius (1740-1815) konzipiert, er las Briefe, Gedichte und Prosa mit Charme und südlichem Flair. Das Holzbläsertrio der Brandenburger Symphoniker (Benjamin Kahleyss, Oboe, Rico Wolff, Klarinette, Sebastian Pietsch, Fagott) begleitete die Lesung trotz heftigen Vogelgezwitschers wohltemperiert. Auch Göritz (1902-1998) liebte das Holz. Erst spät kam es ihm in den Sinn, gelegentlich auch mal die Axt anzulegen. Das trifft wohl auch auf den größten von ihm gestalteten Privatgarten zu: Bei Bräuers sind Birken und efeubehangene Kiefern, Spitzahorn und die seltene Metasequoia (fossil, erst 1947 in Westchina wiederentdeckt) in den Himmel gewachsen. Viel Unterholz und Krautbewuchs, Figuren dazwischen, eine elegant geschwungene Wiese im Zentrum, zwei Teiche, gewaltige Rhododendron- und Azalee-Sträucher, drei halbe Meter hoch, blühend. Hartriegel ist hier ein Baum. Das 5600 Quadratmeter große Areal erweckt den Eindruck, ein fertiges Biotop zu sein, als gäbe es, außer der Pflege, nichts mehr zu tun. Die Vogelwelt freute es, mehrere Amseln wetteiferten mit Mozart, Haydn und Myslivecek, die Taube gurrte, Finken schlugen, später mischte auch eine Nachtigall mit. Ein Ort des Friedens – gut für Claudius, den familienbewussten Pfarrerssohn aus dem Holsteinischen, welcher mit seiner Frau Rebekka 13 Kinder gezeugt, davon seine Dichtung erzählt: Wie das Kind sich die Storchenmär seiner Mutter erklärt, vom Jubel der ersten Zahnung („er soll Alexander heißen“), Tiefsinniges über das „Heyrathen“, über Freundschaft, das Leben, den Tod. Der christlich sinnende Mensch Claudius mit all seiner humorvollen Liebenswürdigkeit, aber auch mit seinen Zweifeln, stand im Zentrum, jenseits eines ihn ablehnenden Goethe und Alexander von Humboldts, welcher ihn „Null“ nannte. Das hat der Herausgeber des „Wandsbecker Boten“ (1771-75) gewiss nicht verdient. Klaus Büstrin las ihn mit selten gehörtem Witz, mit Ironie und Freude, fast zeitlos. Wegen des schwindenden Lichts wurde die Pause verkürzt, denn inzwischen war der Dreiviertel-Mond über Efeu und Salomonssiegel aufgestiegen. Der zweite Teil war eher besinnlich. Trotz aufklärerischer Tendenz bekannte der Dichter und Journalist hinsichtlich gesellschaftlicher Unstände: „Am Menschen liegt es!“, und seinem Sohn Johannes trug er noch am Sterbebette Redlichkeit und Wahrhaftigkeit auf, um das Leben vor Gott zu meistern. So spricht eine „Null“ wohl nicht. Zum Finale, sehr klar und frei rezitiert, das Berühmteste am Claudius: „Der Mond ist aufgegangen“. Wirklich sehr schön. Gerold Paul
Gerold Paul
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