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Kultur: Der Nabel der Welt

Albert Ostermeiers Fußballstück „Ersatzbank“ hatte in der Reithalle A Premiere

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Kaum zu glauben, dass dieser Typ im Trikot von Bayern München, der da so ergeben auf der Bank sitzt, gerade eine Bank überfallen haben soll. Eigentlich sieht er aus, als ob er nur darauf wartet, dass sich die Ränge in der Reithalle A des Hans Otto Theaters füllen. Was auch stimmt. Erst nachdem am Samstag die rund 25 Premierenzuschauer Platz genommen haben, bricht der Mann in einen langen Monolog aus. Schon die ersten Szenen von Albert Ostermeiers Theaterstück „Ersatzbank“ zeigen, wohin der Hase in der Inszenierung von Carsten Kochan läuft. Aus der Ersatzbank wird eine Wartebank, aus einem Kämpfer ein Frustrierter, aus einem urwüchsigen Bühnenspiel eine ziemlich didaktische Deklamation.

Viel zu brav und zu bieder für dieses furiose Solo um einen Fußballnarren und verzweifelten Verlierer. Im Jahr 2006 kurz nach der Fußballweltmeisterschaft uraufgeführt, wurde die rasante Charakterstudie rasch zu einem Renner. Ein Fußballerherz schlägt auch in Albert Ostermeier, der nach eigenen Angaben in der Kindheit „zwangsläufig“ ein großer Fan von Bayern München wurde und Tormann der deutschen Autoren-Nationalmannschaft ist. Im Übrigen gehört Albert Ostermeier zu den namhaftesten Lyrikern und meistgespielten Theaterautoren der Gegenwart.

Man muss kein Fußballkenner sein, um „Ersatzbank“ folgen zu können. Ostermeier hat ein Gleichnis auf das Leben geschrieben, das aus lauter Kampf, kaum Glück und viel Pech besteht. Ein einst leidenschaftlicher Fußballer hat sich nach einem Banküberfall verschanzt. Seine Geisel, eine verstörte junge Frau (Anita Twarowska), wird zur stummen Zuhörerin seiner Lebensgeschichte: Es ging um den Pokal. Seine Amateurmannschaft führte im Halbfinale noch in der letzten Minute der Nachspielzeit mit 1:0. Fast hätten sie gewonnen, er wäre nach Berlin zum Finale gefahren, ein Held gewesen, hätte eine Profikarriere vor sich gehabt mit Geld, Ruhm und Frauen. Doch der Traum zerplatzt. Er, der Manndecker, der den Ausnahmestürmer des Gegners ausgeschaltet hatte, wurde in der letzten Minute ausgewechselt. Als er den Platz verlässt, fällt das Gegentor durch den Spieler, den er gedeckt hatte. Das Elfmeterschießen geht verloren. Es folgt der soziale und persönliche Abstieg.

Falls es der Fußball noch nicht war, macht spätestens Albert Ostermeier ihn zum Nabel der Welt. Am laufenden Band verblüfft der ruppige, hochkondensierte Text mit poetischen Verbindungen zwischen Fußball, Gesellschaft und Leben. Er steckt voller Emotionen und zeigt, dass von der Aggression bis zum Selbstmitleid oft nur ein kurzer Weg liegt. „Ersatzbank“ ist auch ein gefundenes Fressen für jeden Vollblutschauspieler. Christian Klischat spielt die Rolle des Uwe facettenreich. Er ist brutal, emotional, euphorisch, fanatisch und gefährlich, fuchtelt mal mit der Pistole herum, wirft sich dann auf seine Geisel. Für seine Bühnenpräsenz muss er gelobt werden. Deutlich wird, wie viel Gefahr in dieser doch ziemlich dumpfen Mischung aus egozentrischen Träumen, Kampf und Konkurrenz liegt. Dass aus der im Grunde tragikomischen Gestalt des Fußball-Uwe, mit ihrer Egomanie durchaus ein Abziehbild unserer Zeit, aber letztlich nur ein frustrierter Verlierer wird, liegt an der Regie. Anders als bei der Uraufführung wird der Fußballer, aus dem ein Bankräuber wurde, am Ende nicht von der Polizei erschossen. Stattdessen legt er sich einfach am Boden nieder und gibt, wie schon zu Beginn, ein Bild der Ergebung. Selten sah man mehr Resignation auf der Bühne. Vom Kampf zur Larmoyanz, so könnte die Botschaft lauten. Gerade ein so vitales, vielschichtiges Stück wie „Ersatzbank“ hat das nicht verdient. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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