Kultur: Der Reichsgründer und sein Biograf
Waltraut und Achim Engelberg sprachen in der Stadt- und Landesbibliothek über ihr Bismarck-Familienprojekt und die große Biografie von Ernst Engelberg
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Dass sich Ernst Engelberg ausgerechnet mit Bismarck so intensiv beschäftigte, war auch vielen seiner Zeitgenossen ein Rätsel. Manche hat es sogar empört. Engelberg, ein bekennender Linker, sollte doch lieber über August Bebel statt über diesen Reichskanzler schreiben, hieß es damals. Doch zum Glück ließ er sich nicht beirren: Die Auseinandersetzung mit Otto von Bismarck wurde zu seinem Lebensthema. Die Begeisterung und Leidenschaft dafür übertrug er auch auf seine Frau Waltraut und seinen Sohn Achim. Am Mittwoch waren beide zu Gast in der Reihe „Historische Seiten“ der Stadt- und Landesbibliothek, um über Ernst Engelberg und das Familienprojekt Bismarck zu sprechen.
Schon Theodor Fontane hatte über Bismarck gesagt, dass man mit dem nicht so schnell fertig werde. Mal fasziniert, dann wieder abgestoßen, war auch Fontane ein Leben lang mit diesem Politiker beschäftigt. Auch Ernst Engelberg hatte schon vor seiner wirklich intensiven Auseinandersetzung erkannt, dass Bismarck so einfach nicht abzutun sei. Mitte der 60er-Jahre reifte in Engelberg, der nach dem Zweiten Weltkrieg für wenige Jahre Dozent für deutsche Geschichte an der Brandenburgischen Landeshochschule in Potsdam war, der Entschluss, eine Biografie über Bismarck zu schreiben. Ein Kollege meinte dazu nur abschätzig, dass er in diesem Thema so gut eingearbeitet sei, dass er dafür gerade einmal ein halbes Jahr brauchen würde. Ernst Engelbergs erster Teil „Bismarck. Urpreuße und Reichsgründer“ erschien dagegen erst 1985, also 20 Jahre später – gleichzeitig in der DDR und in der BRD. Ein Novum für einen Historiker aus der DDR. Fünf Jahre später wurde mit dem zweiten Teil „Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas“ das Biografieprojekt abgeschlossen. Zwei Bücher mit über 1700 Seiten. Nun ist im Siedler Verlag mit „Bismarck. Sturm über Europa“ (39,99 Euro) eine von Achim Engelberg auf 800 Seiten gekürzte Biografie erschienen. Ein Achtungszeichen, bevor sich im kommenden Jahr der Geburtstag von Bismarck zum 200. Mal jährt. Denn Ernst Engelbergs Biografie ist bis heute als das Standardwerk anzusehen.
Ernst Engelberg, der ursprünglich eine dreibändige Familiengeschichte der Bismarcks geplant hatte, wollte immer eine gekürzte Fassung seiner Biografie auf den Markt bringen. Doch konnte Engelberg, der vor vier Jahren im Alter von 101 Jahren verstarb, dieses Vorhaben nicht mehr verwirklichen. Er bat seinen Sohn, dies für ihn zu tun. Mittlerweile ist Achim Engelberg selbst zu einem Bismarck-Experten geworden. Zusammen mit seinem Vater hat er „Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute“ (Siedler Verlag, 22,95 Euro) herausgegeben. Er hat seine Mutter bei der Arbeit an „Das private Leben der Bismarcks“ (Siedler Verlag, 14,99 Euro) unterstützt und wertet derzeit den Nachlass seines Vaters für die Staatsbibliothek in Berlin aus und ediert den Briefwechsel von Ernst Engelberg und dem Verleger Wolf Jobst Siedler, der im kommenden Jahr erscheinen soll.
Was den Abend in der Stadt- und Landesbibliothek interessant machte, war weniger das Interesse an Bismarck, sondern an Ernst Engelberg selbst. Es sorgt immer wieder für den unbewussten Reflex der Skepsis, vielleicht sogar Ablehnung, wenn da die Rede von einem ist, der in der DDR auch politisch Karriere machte und auch als Wissenschaftler Erfolg hatte. Das nicht nur in der DDR. Wie ist unter diesen Gesichtspunkten der Wert und in gewissen Sinne auch die Glaubwürdigkeit dieser Biografie einzuordnen? Moderator Alfred Eichhorn lenkte immer wieder das Gespräch auf diesen Aspekt im Leben Engelbergs. Und dadurch wurde gerade im Dialog mit dem Thema Bismarck deutlich, wie stark auch hier Stereotypen, Klischees und einseitige Einschätzungen das Denken prägen können.
Engelberg, der Professor für die Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung an der Universität Leipzig und dort Mitglied der SED-Parteileitung war, später auch Präsident das Nationalkomitee der Historiker der DDR, glaubte an die Idee des Sozialismus. Aber er war dabei nie dogmatisch, sondern blieb kritisch mit dem skeptischen Blick des Historikers. Wie seine Frau Waltraut Engelberg, unerlässliche Stütze bei seinem Bismarckprojekt, sagte, stieß der Historiker mit seinem Vorhaben immer wieder auf Widerstand. Aber mit Beharrlichkeit setzte er sich durch – und hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. So sagte er in einem Fernsehinterview 1985, dass ihn die Teilung Deutschlands sehr schmerze. Wie Waltraud Engelberg in Potsdam sagt, stand danach das Telefon bei ihnen nicht mehr still, weil viele sich für diese Worte bei ihm bedankten.
Ernst Engelberg hat sich aus Ärger über falsche, verkürzte und verfälschte Einschätzungen Bismarcks seinem Lebensprojekt gewidmet. Er sich diesem Projekt einzig und allein als Historiker genähert, frei von jeglicher ideologischer oder politischer Färbung. Zusammen mit seiner Frau hat er akribisch die Archive durchsucht und eine Biografie geschrieben, die auch in der aktuellen, gekürzten Fassung Bestand hat. Eine Biografie, die nicht nur in Bezug auf den 200. Geburtstag von Bismarck so wichtig ist, weil sie den immer noch bestehenden Klischees vom Kriegstreiber, Erzkonservativen und Royalisten ein differenziertes und so auf kluge Weise einordnendes Bild liefert. Denn gleichzeitig liefert dieses Buch in seiner herausragenden Auseinandersetzung mit Bismarck ein Bild über den Autor Ernst Engelberg selbst.
Dirk Becker
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