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Kultur: Der röhrende Hirsch

Erik Bruinenberg zeigt mit „Die Potsdamer Wunderkammer 2012“ seine erste Ausstellung im Kunstraum

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Es röhrt der Hirsch, die Katze ist gehäutet und auf dem Fahrrad radelt niemand, weil es an der Wand hängt. Gegenstände die Potsdamer Bürger „besonders berühren, beschäftigen oder aufregen”, möchte der Kunstraum Potsdam versammeln. Bis zum 22. April zeigt der Leiter des Kunstraums, Erik Bruinenberg, dort seine „Wunderkammer“. In der sind allerlei Gegenstände an die Wand geheftet, hängen an durchsichtiger Angelschnur, oder sind ordentlich aufgereiht in Setzkästen nebeneinander postiert. Die grauhaarige Perücke trifft auf eine ornamental verzierte Vase, ein Kunstobjekt von Dennis Oppenheim auf Bilder von Potsdamer Malern. Teilweise von Punktstrahlern beleuchtet, teilweise offen in den Raum gelegt, präsentiert Bruinenberg die Gegenstände.

Anfang des Jahres hatte Bruinenberg die Potsdamer aufgerufen, ihm persönliche Gegenstände zur Verfügung zu stellen. „Das lief erst eher schleppend, da gab es wohl eine Hemmschwelle,“ gesteht der Kurator. Nachdem einige Zeitungs- und Radioberichte dann aber auf die Sammlung hingewiesen hatten, trudelten die nun versammelten Objekte nach und nach ein. Bis zum 10. März sollte daraus „eine Wunderkammer gezaubert“ werden. Das hat nicht so ganz geklappt. Als die Schau am Sonntag eröffnete, klafften noch etliche Lücken. „Das wird sich noch füllen, wir sammeln weiter. Am Ende wird das richtig voll“, erklärt Bruinenberg.

Die Idee zu der Ausstellung hatte er, als einige Studenten das Areal der Schiffbauergasse Ende vergangenen Jahres auf seine Attraktivität hin durchleuchteten. Sie fanden heraus, dass dort eine zu geringe soziokulturelle Anbindung gegeben sei. Also soll sich nun die Soziokultur Potsdams in der Ausstellung spiegeln. Entstanden ist allerdings eher ein Kuriositätenkabinett, in dem allerlei Dinge recht unverbunden nebeneinander stehen. Aus einer Seite des „Neuen Deutschland“ vom 12. August 1961 ist zu erfahren, dass „Volkes Wille auf der Tagesordnung steht“. Nicht weit davon hängt der sorgfältig arrangierte schwarz-weiße Fotoabzug eines Insektes, das sich auf einer Blüte niedergelassen hat. Teilweise sind die Gegenstände einfach an die Wand gelehnt, teilweise sind sie im Dunkeln aufgehängt und werden von Punktstrahlern beleuchtet. Manches wirkt wie ein auratisches Kunstwerk, manches versinkt im Dunkel. Unklar bleibt aus welchen Gründen ein Fokus gelegt oder vermieden wird. Offensichtlich qualitativ hochkarätige Kunst wird nolens volens mit gebastelten Palmenpanoramen und Minifiguren röhrender Hirsche vermählt.

Er habe keine Auswahl getroffen und zeige die Werke anonym, weil die „emotionale Bindung“ der Potsdamer Bürger an die eingebrachten Sachen im Vordergrund stehen solle, erläutert Bruinenberg. Wenn über einem Zeitungsartikel zum Tode Pina Bauschs zwei benutzte, rosa farbene Ballettschuhe hängen, wird schnell offensichtlich, was die unbekannte Eigentümerin bewegt.

Es ist Bruinenbergs erste Ausstellung als Leiter des Kunstraums im Waschhaus Potsdam. Nachdem Katja Dietrich-Kröck die Leitung des Raumes niedergelegt hatte, machte Wilfried Peinke, der Geschäftsführer des Waschhauses, den 56-jährigen Bruinenberg in einem Handstreich, ohne Ausschreibung, zum Chef des Kunstraubes. Schließlich müsse es reibungslos weiter gehen, erklärte Peinke. Von 1994 bis 2002 war Bruinenberg Kurator beim Kunstraum und organisierte auch die Container Ausstellungen in der Contemporary Art Zone der Schiffbauergasse. Von sich selbst sagt Bruinenberg: „Ich bin Künstler aber kuratiere Ausstellungen seit der Hochschule“. Von den bisher geplanten Ausstellungen übernehme er notgedrungen noch einiges, das solle aber auslaufen. Künftig wolle ausschließlich er als Kurator und fest angestellter Geschäftsführer des Kunstraums das Programm bestimmen. Dann zeige er sowohl nationale wie internationale Kunst. Die Bilder der Potsdamer Künstler in der gegenwärtigen Ausstellung kommentiert Bruinenberg mit den Worten: „So kommen die auch mal in den Kunstraum“.

Mit dieser Ausstellung gibt Bruinenberg nun seine Visitenkarte als neuer Leiter ab. Dabei ignoriert er souverän den kunsthistorisch geprägten Begriff der „Wunderkammer“. Als Kurator verzichtet er großzügig auf ein schlüssiges Präsentationskonzept und setzt Schlaglichter und Schwerpunkte nach Gutdünken. Die „Wunderkammern“ der Renaissance und des Barock wollten die Welt ordnen und waren dementsprechend systematisch strukturiert und sorgsam arrangiert und erläutert. Wunderkammern waren liebevolle und bis ins kleinste austarierte Miniaturpanoramen der Welt wie sie damals wahrgenommen wurde. Bruinenberg erzählt die Geschichten der Dinge nicht, selbsterklärend sind sie aber auch nicht unbedingt. Dadurch und durch den gegenwärtig noch offensichtlichen Verzicht auf eine Gestaltung wird die Ausstellung beliebig, was auch eine Form der Interpretation ist. Anders als Bruinenberg auf der Website behauptet, sind Google und Facebook aber keine „neueste Form einer Wunderkammer“, sondern etwas völlig anderes. Die Internetportale sind unüberschaubare Datenarchive, die gerade keine Deutung der Welt vornehmen. Entgegen dem Titel der Ausstellung scheinen daher eher die digitalen Datenlabyrinthe als die historischen „Wunderkammern“ der Bezugspunkt für die Präsentation zu sein.

Noch bis zum 22. April in der Galerie Kunstraum in der Schiffbauergasse, mittwochs bis sonntags, 12 bis 18 Uhr

Richard Rabensaat

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