zum Hauptinhalt
Miljenko Turk ist derzeit an der Kölner Oper bei Uwe Eric Laufenberg engagiert.

© actorsphotographie

Von Heidi Jäger: Der Romantiker

„Klassik am Sonntag“ im Nikolaisaal mit dem Bariton Miljenko Turk, der Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellcn“ singt

Stand:

„Ach was, um 16 Uhr beginnt schon das Konzert?“, fragt Miljenko Turk verdutzt. „Um diese Zeit halte ich eigentlich Mittagsschlaf“, fügt er launig hinzu. Da wird der kroatische Sänger also am Sonntag eine Ausnahme machen müssen. Schließlich soll er nach seinem heutigen Konzert in Frankfurt (Oder) morgen erneut mit dem Brandenburgischen Staatsorchester auf der Bühne stehen. Auch im Nikolaisaal will er zwischen Dvoraks „Othello“ und Ravels „Bilder einer Ausstellung“ mit seinen „Liedern eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler die Gemüter bewegen. Der Bariton mag die Romantik und – die Ruhe vor dem „Sturm“. Die wird er nun also vorverlegen, um topfit für die Liebe zu sein. Denn darum drehen sich die vier Lieder Mahlers und auch Miljenko Turk weiß davon ein Lied zu singen. Nicht zuletzt seit der Trennung von seiner japanischen Frau und seiner inzwischen neunjährigen Tochter. Aber gerade die Zerrissenheit ist es, die die vertonten Gedichte beseelen. „Da geht es weniger um Technik und Stimme, sondern die Gefühle müssen ihren Weg zum Publikum finden.“ Er hofft, dass sie sich möglichst dicht an die Fersen des Gesellen heften, der auf Wanderschaft versucht, eine unglückliche Liebschaft zu verarbeiten.

Miljenko Turk hat diese Lieder schon in Graz in der Kirche gesungen. Da war er noch Student. Inzwischen ist er seit acht Jahren an der Kölner Oper und hat schon drei Intendanten überdauert. Nun ist er einer der wenigen, der auch vor dem einstigen Potsdamer Intendanten Uwe Eric Laufenberg bestand und in dessen neuem Ensemble singt. Besonders aber freut sich der Bariton, dass er neben den Kritikerpreis als bester Nachwuchskünstler auch schon den Offenbach-Publikumspreis überreicht bekam. „Es ist so schön, wenn die Zuschauer einen mögen.“ Freimütig erzählt er, wie er noch Stunden nach den Vorstellungen darüber nachsinnt, wie der Abend gelaufen ist und wie er selbst darin bestand. „Und natürlich bin ich glücklich, wenn ich gut war: Irgendwann musste ich mich entscheiden, ob ich in scheinheiliger Demut oder in ehrlicher Arroganz mit mir umgehe. Ich wählte letzteres“, sagt er lachend. Der 33-Jährige besticht durch sein sonniges Gemüt und die offen gezeigten Gefühle, die ihn auch immer wieder durch die musikalischen Gefilde vom Barock bis zur Moderne tragen. „Ich habe bis jetzt fast alles ,bedient’.“ Besonders ist ihm der Papageno ans Herz gewachsen, „in dieser Figur kann man alles zeigen und das Publikum in den Bann ziehen. Mein Lieblingskomponist ist indes Puccini. Er berührt mich am meisten. Ich habe sämtliche seiner Bariton-Partien gesungen.“ Aber auch als Wolfram in Wagners „Tannhäuser“ und in Brittens „Billy Budd“ überzeugte er. „Laufenberg wollte, dass ich auch den Posa in ,Don Carlos’ singe. Das habe ich abgelehnt. Diese Partie ist mir zu schwer. Schließlich muss jeder auf seine Stimme selbst Acht geben.“ Miljenko Turk versucht einen Haken zu schlagen, wenn er anderes im Sinn hat. Als Kind musste er sogar mit dem Kochlöffel zu seinem Glück gezwungen werden. Den nahm seine Mutter zur Hand, wenn er die  Musikschule vernachlässigte und nicht ausreichend Klavier übte. „Heute bin ich froh, dass sie es tat.“ Er freut sich, dass er nun selbst die Eltern unterstützen kann, weil sie allein von der Rente nicht leben können. Miljenko, das Nesthäkchen, war der dritte Sohn der Familie. „Meine Brüder sind Architekt und Offizier. Schlimm war die Zeit, als mein Bruder einen Monat im Krieg war und wir keine Nachricht erhielten. Bis heute erzählt er nichts von dieser Zeit, von dieser total sinnlosen Auseinandersetzung in meiner Heimat.“ In seiner Kleinstadt in der Nähe der ungarisch-slowakischen Grenze richtete der Krieg nicht allzu viel Unheil an. Aber auch sie mussten im Keller Schutz suchen.

Für Miljenko war es gut, dass er mit der Musik Zwiesprache halten konnte. Anfangs mit dem Klavier, dann ab 16 auch mit der Stimme. „Erst am Musikgymnasium wurde man auf sie aufmerksam. Mein Chorleiter sagte zu mir: ,Du bist zu laut, man hört dich ständig raus’ und schickte mich zu einer Gesangslehrerin. Ein großes Glück für mich.“ 1994 ging er dann nach Graz, bestand aber fast die Aufnahmeprüfung nicht, weil neben dem Singen auch Deutschkenntnisse verlangt wurden. „Ich schrieb zu der Zeit Österreich noch mit zwei ,s’ statt mit zwei ,r’. Doch die Lehrer hörten irgendetwas in meiner Stimme und trauten mir wohl zu, auch noch Deutsch zu lernen.“ Inzwischen beherrscht er sechs Sprachen. Als er am Ende in Graz eine 60-seitige Magisterarbeit schreiben sollte, machte er sich aus dem Staub. Und landete an der Kölner Musikhochschule bei dem großen Bassisten Hans Sotin als Lehrer. „Und jetzt bin ich Diplomsänger, ohne eine Arbeit geschrieben zu haben.“

Was beim Singen zählt, sei die Praxis. „Man muss seine Stimme jeden Tag fit halten, wie beim Hochleistungssport. Wenn ich im Sommer zehn Tage in Kroatien am Meer faulenze, muss ich mich danach wieder richtig konditionieren.“ Ansonsten hält er sich mit Joggen und gesunder Ernährung fit, „wobei man in Maßen alles essen und trinken kann.“ Nur abends nach der Vorstellung gibt’s kein üppiges Mahl mehr. „Denn die Legende, dass ein Opernsänger dick sein muss, nähren nur die, die selber dick sind.“

Ab kommender Spielzeit will sich Miljenko Turk freiberuflich ausprobieren. „Ich musste jetzt mitunter Angebote absagen, weil ich im Haus zu fest eingebunden war.“ Dennoch sang er bei den Salzburger Festspielen, an der Volksoper Wien, der Semperoper, drei Jahre in Bayreuth. Vor allem die Arbeit bei „Parsifal“ mit Christoph Schlingensief habe ihm viel Spaß gemacht. „Er hatte tolle Ideen, für Bayreuth genau das richtige. In Köln sollte man so etwas aber nicht ausprobieren. Sonst bleiben uns die Leute weg. Ich möchte, dass die Zuschauer die Oper genießen.“

Und das hofft er auch von seinen Auftritten im kommenden Jahr, wenn er in Köln „Die „Zauberflöte“, „Die Czardasfürstin“ und „Carmina burana“ singt. Und in „Love and other demons“ des ungarischen Komponisten Peter Eötvös einen Exorzisten spielt, der selbst besessen ist vom schrecklichsten aller Dämonen, von der überwältigenden Liebe. Also wieder viel Raum für viel Gefühl.

Am Sonntag um 16 Uhr im Nikolaisaal, Restkarten sind noch erhältlich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })