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Kultur: Der Schichten-Erzähler

Waldemar Strempler, lange Grafiker bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, zeigt neue Collagen in der Galerie am Jägertor

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An Hannah Höch haben sie die Bilder erinnert, sagt Kornelia Tappe. Das kann man schon als ziemliche Auszeichnung für Waldemar Strempler betrachten. Hannah Höch, Dadaistin der ersten Stunde, hat Großartiges geschaffen – zuletzt waren Arbeiten der 1978 gestorbenen Künstlerin im Potsdam Museum zu sehen –, zusammen mit denen anderer Künstlerinnen der Moderne. Dass sie Kornelia Tappe gerade jetzt in den Sinn kommt, kommt auch nicht von ungefähr – 100 Jahre ist es jetzt her, dass eine Gruppe um Hugo Ball und Hans Arp in Zürich den Dada ausrief – ein Aufschrei gegen alle konventionelle Kunst, jedes bürgerliche Ideal.

Ein Aufschreier ist Strempler, lange Jahre Grafiker bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, aber eher nicht, er ist ein eher stiller Mensch und eigentlich, sagt er, haben die Bilder, die er ab kommendem Donnerstag in Tappes Galerie am Jägertor zeigt, mit Dada gar nichts zu tun. Andere Arbeiten von ihm, frühere, die vielleicht schon.

Was ihn – und auch seine neuen Arbeiten – mit Hannah Höch verbindet, ist die Liebe zur Collage. Das sieht man auch schon auf den Arbeiten bei Tappe. Tapetenfetzen, abgefallen bei der Renovierung des Teehauses, Skizzen barocker Stühle, ein bronzenes Türschloss, ein Achtel Seite, aus einem Buch herausgerissen und mit einem fetten Kaffeefleck. Dazwischen, darüber: Schrift. Ausgeschnitten, aufgeklebt oder selbst geschrieben – Stremplers Schrift ist selbst eher Grafik als Medium, sie wird zum festen Bestandteil des Bildes.

Und immer wieder: Frauen. Mal mit Körpern, mal nur Gesicht, manchmal – da ist man wieder bei Hannah Höch – nur ein Auge. Manchmal hat Strempler sie gemalt, manchmal aus Zeitschriften oder von Fotos herübergeholt, oft gucken sie trotzig, noch öfter hat er sie mit Farbe bespritzt. Oder nur die unsichtbare Wand, die sie vom Betrachter trennt?

Man kann sich hier nie sicher sein. Mal denkt man kurz an die RAF-Serie von Gerhard Richter – seine Bilder der Toten in ihren Zellen: Ensslin, Baader, Raspe – wenn Strempler rote Farbe über ein Mädchen gekippt hat, die Augen zu, der Mund leicht geöffnet, den Kopf in die Armbeuge geneigt.

„Man kann hier die ganze Zeit gucken“, sagt Kornelia Tappe, das muss man auch, um die Materialien auseinander zu sortieren, zu analysieren: Ist das da unter der Farbe ein altes Etikett, jenes da ein altes Foto – oder ist es doch gezeichnet? Und dann muss man, nachdem man es zerlegt hat, alles wieder zusammenbringen, als Ganzes sehen. Aus freischwebenden, von überall her stammenden Teilchen schafft Waldemar Strempler seine Bilduniversen. Das ist natürlich nicht neu, wie gesagt, vor 100 Jahren schon hatten die Dadaisten die Idee mit den Collagen. Schön, weil vielschichtig, sind sie trotzdem noch.

„Dada fand ich vor allem wichtig, weil es um den Ausbruch ging, weg vom Blumenstrauß, der Landschaft, egal, ob die nun impressionistisch oder expressionistisch war“, sagt Tappe. Noch mal etwas radikal Anderes erfinden, Dinge zerhacken und zu Ungeheuerlichem zusammenfügen. Ungeheuerlich, schockierend, das geht heute kaum noch, denkt man ein bisschen traurig. Welche visuellen Tabus gibt es denn noch? Wenn man vor Waldemar Stremplers Arbeiten steht, vergisst man das vor lauter Neugier schnell wieder. Seine Bilder wühlen nicht auf, aber sie lassen sich fast lesen wie ein Buch. Oder besser – jeder kann sich in ihnen eine eigene Geschichte suchen.

Das kommt übrigens nicht von ungefähr, Strempler illustriert auch Bücher, etwa einen Gedichtband von Olivia Wartha, die er über seinen Tumblr-Blog „stremplerart“ kennengelernt hat. Mit eigenen Textfetzen hingegen schwächt er die Wirkung seiner Kompositionen manchmal – zu dramatisch sind die kurzen Gedanken, und dabei manchmal zu allgemein. Wenn da etwa steht „Die Stille ist endlos, wie der Tod“, dann lässt Strempler den Gedanken der Betrachter kaum noch einen anderen Weg offen, er zerrt das Bild herunter auf einen kleinen Deutungszusammenhang. Ähnlich ist es, wenn die Elemente zu offensichtlich miteinander kommunizieren, eine schlafende nackte Frau und ein Fetzen einer Partitur mit dem Titel „Romanze“.

Besonders gut ist er hingegen immer dann, wenn er einfach freidreht, mit dem Material spielt, nimmt, was eben da ist und es in neue Formen presst, Formen ohne Vorgaben. Dann folgt man ihm gern, verliert sich ein bisschen in den vielen Schichten von Materialien, in den schönen jungen Gesichtern seiner Frauen, die alle aus einer fernen Zeit zu stammen scheinen. Als wären sie dabei gewesen, als Dada in Berlin tobte. Ariane Lemme

Die Ausstellung mit Collagen von Waldemar Strempler wird in der Galerie am Jägertor, Lindenstrasse 64, am Donnerstag, 18. August, um 18.30 Uhr eröffnet

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