Von Jana Haase: Der Sinnsucher
Der Pavillon auf der Freundschaftsinsel zeigt fotokünstlerische Arbeiten von HL Böhme
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Seine Bilder hat jeder Potsdamer schon einmal gesehen. Zuletzt auf dem „Wahlplakat“, mit dem das Hans Otto Theater (HOT) derzeit stadtweit für die aktuelle Produktion „Der Revisor“ wirbt. Zu sehen ist eine schmissig-schmierige Politiker-Gestalt, in einer Hand leger die über die Schulter geworfene Jacke, die andere gönnerhaft in Richtung Betrachter ausgestreckt, dazu ein selbstgefällig-zuversichtliches Lächeln, das obligatorische Wahlkreuz und der Slogan „Eine Stadt. Eine Intrige. Der Revisor.“ Erst auf den zweiten Blick entpuppt sich der Mann als Hauptfigur der gogol’schen Komödie, die am 1. Oktober am HOT Premiere feiert. Ein Schauspieler also. Und gleichzeitig ein augenzwinkernder Kommentar auf die mit Plakaten diverser Oberbürgermeister und -meisterinnen in spe zugeklebte Landeshauptstadt.
Es sind Schauspieler und Schauspielerinnen, die HL Böhme fotografiert, auf der Bühne, in inszenierten Wirklichkeiten, im Porträt. Aber das ist nur sein halbes Leben: Seit mehr als 25 Jahren ist der Theaterfotograf, der 2009 mit Intendant Tobias Wellemeyer ans Potsdamer Hans Otto Theater kam, auch frei künstlerisch tätig. Von dieser Seite seines Schaffens können sich die Potsdamer jetzt in einer Ausstellung im Pavillon auf der Freundschaftsinsel ein Bild machen. Unter dem Titel „Götterdämmerung“ sind gut 30 Arbeiten aus drei Jahrzehnten versammelt.
Der 1945 geborene Künstler – die zwei Buchstaben stehen für die Vornamen Hans und Ludwig – wirkt geduldig, spricht mit beinahe zurückhaltender Stimme, hat ein warmes Lächeln. Das Fingerspitzengefühl, das der jahrelange Umgang mit mehr oder weniger sensiblen Bühnenstars zwangsläufig verlangt, gehört offenbar zum Naturell dieses gutmütigen Herren mit dem grauen Bart und der schwarzen Künstlerbrille. Umso mehr überrascht der Rundgang durch die aktuelle Ausstellung. Einige kühle Frauenakte und fast abstrakt wirkende Naturfotografien aus Namibia zeigt Böhme da, vor allem aber: Bearbeitungen seiner Theater-Bilder.
Und dabei ist Böhme jede Zurückhaltung fremd. Bei der Wahl seiner „künstlerischen Waffen“ ist er so vielseitig wie erfinderisch. Mit Acrylfarben übermalt er seine Fotos großflächig, löscht Gesichter aus. Andere Fotografien lässt er mittels eines Bades in Schwefelwasserstoff oder Kupfersulfit so verwittern, dass die Züge der darauf Abgebildeten hinter einem düsteren Braun-Grau-Blau-Schleier kaum noch zu erkennen sind, verschüttet wie Erinnerungen an ein vergangenes Jahrhundert. Für wieder andere Werke verändert Böhme am Computer Farben, verfremdet Figuren, stellt sie auf den Kopf, macht Augen unkenntlich, als wolle er sie regelrecht „auskratzen“.
Individuelle, persönliche Züge gehen in dieser Bearbeitung verloren. Die Bilder werden zu Abziehbildern der fotografisch festgehaltenen Wirklichkeit, bekommen etwas Gleichnishaftes, Allgemeines. Sie berichten mit Vehemenz und Kraft vom Menschenleben, von Zwängen und Träumen und unerfüllten Hoffnungen. Da sind zum Beispiel die „Sinnsucher“, eine großformatige Arbeit, auf der sechs in Plastikfolie eingewickelte Menschen erhobenen Hauptes in die Ferne starren. Gefühle sind in diesen buchstäblich eingesperrten Gesichtern nicht mehr zu lesen. Was sie möglicherweise bewegt, ist stattdessen mit schwarzen Folienstift über ihren Augenbrauen notiert: „Geld“ steht da, „Sex“, „Jugend“ oder „Sinn“.
Wiederkehrendes und verbindendes Element der Ausstellung sind auch die Rahmen. Der Großteil der Bilder ist in kantige, rohe Metallrahmen eingespannt, ohne Schmuck oder Glanz. Gefertigt wurden sie von einem einfachen Schmied nach den Vorstellungen des Künstlers, erklärt HL Böhme. „Da steckt die Welt von draußen ein Stück weit mit drin“, sagt er.
Das könnte man auch vom „Revisor“-Plakat sagen. Was für die Gebrauchs-Arbeiten am Theater zutrifft, daran soll sich auch freie Kunst messen lassen. Befragt nach dem Verhältnis zwischen beiden Bereichen wiegt Böhme nachdenklich den Kopf. „Das vermischt sich bei mir sehr“, sagt er dann. Seit 1983 arbeitet Böhme für das Staatsschauspiel Dresden, 2001 engagierte ihn das Theater Magdeburg, von wo er dann vor einem Jahr nach Potsdam wechselte. Sein Atelier hat er bis heute in einer umgebauten Windmühle irgendwo zwischen Dresden und Meißen.
Den Titel der aktuellen Ausstellung, „Götterdämmerung“, will Böhme ironisch verstanden wissen. Es gehe um die Balance zwischen Hell und Dunkel im Dasein jedes Erdenkindes. „Dazwischen, in einer Dämmerung, muss jeder sein Leben bewältigen“, sagt der Künstler, der nach einem Studium der Germanistik, Anglistik und Amerikanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena als Autodidakt zur Fotografie kam.
„Man versucht alles, und man glaubt, man kann auch alles“, fasst Böhme die Vor- und Nachteile der ungelenkten und ungeschützten Suche nach einer künstlerischen Sprache zusammen. Seine Werke sind heute in renommierten Museen wie dem Dresdner Kupferstichkabinett, dem Folkwangmuseum in Essen oder der Sammlung Ludwig in Köln zu sehen. In Potsdam auch auf der Straße.
Bis zum 24. Oktober im Pavillon auf der Freundschaftsinsel, geöffnet von Mittwoch bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr
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