Kultur: Der Sitz der Seele
Das Festival „abgedreht“ im Filmmuseum
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Dass Inka Jannssens Seele in ihrem Saxophon sitzt, konnten Besucher des Festivals „abgedreht“, das am Freitag im Filmmuseum eröffnet wurde, erleben, als die sehr lebendig wirkende Frau die Eröffnung bespielte. Gerade vorher war die heute 43jährige in dem Film „Klar zur Wende“ (2001) zu sehen. Sie berichtet über ihre Krankheitsgeschichte und ihren Kampf gegen die und ihr Leben mit der Diagnose „Multiple Sklerose“. Die alerte, jung wirkende Frau ist spontan, dreht nahezu durch, als ihre Krankheit offiziell wird und sucht neben der traditionellen Medizin auch andere Wege zur Heilung.
Dabei hilft ihr der über 80jährige Heiler Günther durch Handauflegen, die asiatische Qui-Gong-Lehrerin und die Fischöltherapie, alles Methoden, die von der klassischen Medizin und den Krankenkassen nicht gefördert werden. Vor allem aber scheint sie sich selbst zu helfen, indem sie ihrem Krankheitsverlauf nicht passiv zusieht, sondern ihn aktiv positiv beeinflusst, auch durch ein gesundes soziales Netz, das nicht zuletzt aus den Mitgliedern ihrer Band besteht, die ihr beistehen. Sie zwingen sie dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen und ihren Körper so anzunehmen, wie er sich mit den Taubheitsgefühlen, der durch die Schübe zeitweise verminderten Sehfähigkeit und allen psychischen Begleiterscheinungen der unheilbaren Nervenkrankheit in ihren Weg stellt. Hauptsächlich um den Umgang mit nicht nur dieser Krankheit ging es am ersten Tag des vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Kooperation mit dem Filmmuseum und weiteren Trägern nun im vierten Jahr organisierten, sehr gut besuchten Filmfestival „abgedreht“.
Im Zentrum des Abends stand die Frage nach einem lebenswerten und zukunftsgerichteten Verhalten, nicht nur der Betroffenen, sondern auch des Umfeldes von Kranken. Und es stand vor allem ein Rätsel im Mittelpunkt, das man herkömmlicherweise Seele nannte und das seit Einführung der Psychopharmaka hauptsächlich „Psyche“ heißt. Schon Aristoteles machte sich Gedanken darüber, wo denn der Sitz der Seele sei, er verortete sie im Herzen des Menschen, andere Philosophen bevorzugten die Leber als Wohnort dieses mit „Anima“ umschriebenen Phänomens und wir Heutigen wissen gar nicht mehr, wo unsere Seele wohnt. Manche behaupten sogar, sie lebe in den Eingeweiden. Egal wie und egal, wie weit man das Undefinierbare durch Fremdworte von sich abzuweisen versucht, der Abend machte deutlich, dass gerade die modernen Gesellschaften damit die größten Probleme haben. Weltweit nehmen psychische Krankheiten zu, nicht nur in den Industrieländern. Psychopharmaka verkaufen sich gut und halten eine ganze Industrie hervorragend am Laufen.
Der Film „Raum 4070“ zeigt das monatliche Treffen von Psychoseerfahrenen in der Fachhochschule und bewies am Beispiel von Andreas, der trotz dieser Treffen, bei denen er über seine Probleme sprach und dabei auf ein verständiges Umfeld stieß, dass es Entwicklungen gibt, die dem Kranken nur noch die Freiheit zum Tode eröffnen. Alle anderen müssen erschüttert mit ansehen, was da passiert, ohne helfend eingreifen zu können. So war an dem Abend auch mit dem letzten Beispiel, dem Musiker Boris Baberkoff, der einen Hirnschlag erlitt, hauptsächlich das Wissen darüber, dass wir sehr wenig wissen, im Zentrum der Gespräche und Auseinandersetzungen.
Ob die Seele nun im Herzen oder in der Leber wohnt, ihre Gesundheit geht uns alle an. Und ihre Krankheiten ebenfalls. Manche direkt, manche Glücklichen ferner. Lore Bardens
Lore Bardens
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