Kultur: Der Sound von Potsdam
Morgen beginnt das Klangforum Brandenburg im Alten Rathaus mit der „Hörzeit unterm Atlas“
Stand:
Wie klingt eine Stadt? Welche Musik, welche Stimmen und Geräusche prägen ihr akustisches Bild? Das Heransurren der Straßenbahn, aufgeregtes Kindergeschnatter nach Schulschluss, Klarinettenspiel aus geöffnetem Fenster, Glockengeläut, entfernt das dunkle Signalhorn eines Dampfers, unterlegt vom gleichmäßigen Rauschen des Autoverkehrs – all das fließt ein in den Sound dieser Stadt. Auch der Schrei der Wildgänse, die darüber hinwegziehen.
Hoch oben in der Kuppel des Alten Rathauses, auf der der goldene Atlas die Welt zu tragen hat, kann man ihn jetzt hören, den Sound Potsdams. Das Klangforum Brandenburg beginnt dort morgen seine neue Reihe „Sound in the City – Hörzeit unterm Atlas“. 16 im Kuppelrund platzierte Stereo-Sessel bieten die seltene Gelegenheit, einmal in Ruhe zu horchen, konzentriert zu lauschen und die Vielschichtigkeit der realen und künstlich überlagerter Klangbilder für sich aufzulösen.
Für die erste Hörzeit hat der Potsdamer Komponist und Musikwissenschaftler Michael Schenk die Hör-Spiel-Performance „Zwischen Max und Mozart“ geschaffen, eine Collage, die sich episodenhaft dem Glockenspiel der Garnisonkirche zuwendet. Schenk geht der Geschichte des auf Mozarts Papageno-Lied gesungenen Preußen-Hymnus „Üb immer Treu und Redlichkeit“ nach und setzt Musik und Text zu den historischen Ereignissen in Beziehung. Archivmaterial vom „Tag von Potsdam“, literarische Reflexionen, Tondokumente vom Spiel des letzten Glockenisten Otto Becker, die Sprengung der Kirche, Redemitschnitte von Max Klaar von der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel, aber auch von den Gegnern des Wiederaufbaus des Gotteshauses lassen ein kontrastreiches Klangbild entstehen, das Diskussionen provozieren kann. Von Michael Schenk ist das durchaus gewollt. In der „Hörzeit unterm Atlas“ soll es immer auch Zeit für Gespräche geben, nicht nur über den Inhalt, sondern vor allem über die von unterschiedlichen Hörgewohnheiten geprägten Wahrnehmungen und damit verbundene Assoziationen.
Besonderes Anliegen der neuen Hör-Spiel-Reihe ist es, die Ohren zu öffnen, das Gehör zu sensibilisieren und gleichzeitig vor akustischem Dauerstress und störenden Einflüssen des Alltags zu schützen. Kein Sinnesorgan ist in einem so breiten Spektrum derart empfindsam wie das Ohr, erklärt Michael Schenk. „Wäre es eine Waage, müsste sie ein Gewicht von einem Milligramm bis 1000 Tonnen anzeigen können.“ Diese gewaltige Spanne auszunutzen, wirklich differenziert zu hören, dazu seien viele Menschen heute kaum mehr in der Lage. Dabei wäre genau das die Voraussetzung, um anspruchsvolle Musik in ihrer ganzen Klangfülle und Komplexität wahrnehmen zu können. Schenk und seine Mitstreiter im Klangforum wollen deshalb zur „Hörzeit unterm Atlas“ im kommenden Jahr regelmäßig auch Jugendliche und Schulklassen einladen.
Im Januar werden im Kuppelrund des Alten Rathauses verschiedene Klangorte und Hörbilder aus Brandenburgs Wasser-Landschaften „erstehen“. Im März geht es mit „Sounds of America“ auf eine virtuelle Hör-Reise durch Städte und Naturparks in Brasilien, Mexiko und die USA. Akustisch zurück in Potsdam ist im Mai ein „Soundwalk“ durch abwechslungsreiche Klangräume der Landeshauptstadt geplant mit einer abschließenden Performance unter der hallreichen Humboldt-Brücke. Ohne den Schutzraum der Rathauskuppel wird es dann darauf ankommen, unter stadtnatürlichen Bedingungen den Gehörsinn zu schärfen und die einzelnen Klangschichten des Potsdamer City-Sounds freizulegen. Antje Horn-Conrad
Altes Rathaus, Do 30.11., 19 Uhr, Fr 1.12., 19 und 21 Uhr, Karten für 6 und 4 €, Reservierung unter Tel. 0331/270 11 30.
Antje Horn-Conrad
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: