Kultur: Der „Sturmvogel“ fliegt weiter
Doch das Wasser unterm Kiel wird knapper / Die zehn Jahre Theaterschiff werden dennoch gefeiert
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Doch das Wasser unterm Kiel wird knapper / Die zehn Jahre Theaterschiff werden dennoch gefeiert Die Idylle trügt. Auf dem ruhig dahin plätschernden Wasser der Alten Fahrt werden wahre Kriege ausgefochten. Krähen fallen wie wild über den Fischreiher her, auch die Wasserratten liefern sich mit dem schwimmenden Federvieh ihre Kämpfe Der „Sturmvogel“ schaut altersweise dem Treiben zu. Seit zehn Jahren liegt der ausgediente Schlepper hier vor Anker, tauschte seine Kohle-, Stein- und Gemüsefracht gegen einen Haufen quirliger Theaterfreaks. Die haben den eisernen Koloss in Berlin-Rummelsburg auf „Trockendock“ gesichtet – und ihm ein zweites Leben eingehaucht. „Käpt“n“ Mattukat bekommt glänzende Augen, wenn er von „Sturmvogel“ erzählt, der seit seiner Taufe im Jahre 1924 diesen trotzigen Namen trägt und der Stadt-Spiel-Truppe damit ein Zeichen setzt. Wilfried Mattukat, der am Samstag mit seiner Theatermannschaft zu „Zehn Jahre Theaterschiff“ einlädt, hat seine Seetauglichkeit indes schon vor „Sturmvogel“ unter Beweis gestellt: nicht nur als Besitzer einer alten Segeljolle, sondern auch als erfahrener Theatermann, der das Steuer in manch“ unwägbarer Inszenierung fest in den Händen hielt. Seine furiose „Amadeus“-Inszenierung am Hans Otto Theater ist noch heute in Erinnerung. 1992 sagte er dem professionellen Theater dennoch adé und wagte sich in die Unsicherheit der freien Szene. Zur 1000-Jahr-Feier Potsdams inszenierte er manch munteres Spektakel und lebte sein schon biografisch begründetes Interesse an Preußen nun auch künstlerisch aus. Um die Geschichte auf die Straßen und Plätze Potsdams zu bringen, bedurfte es natürlich einer zugkräftigen Schauspiel-Crew. Den Stamm fand er in der kirchlich gebundenen Theatergruppe „Andorra“. Andere kamen dazu, die im Schnelldurchlauf in Tanz, Bewegung und Stimme geschult wurden. Schon damals hatte er den Musikus Christian Kozik an seiner Seite, „der noch jedem beweist, dass er eine Stimme hat und ihm die Angst vor dem Singen nimmt.“ Als beim Potsdamer Festgelage die Lichter erloschen, stand die Stadt-Spiel-Truppe vor einem großen Fragezeichen. „Alle wollten weiter machen, doch keiner wusste wo. Als erstes mussten wir einen Verein gründen. Schon das erschien uns lächerlich genug. Aber anders waren Fördergelder nicht zu kriegen. Das Raumproblem lag weiter ungelöst auf dem Tisch, denn der Treffpunkt Freizeit reichte für das rund 30-köpfige Team nicht mehr aus. So kamen wir auf die verrückte Idee, ein Schiff anzumieten“, nachdem schon Friedrich Wilhelm auf einem Dampfschiff zur 1000-Jahr-Feier Einzug hielt – dieser Theatergag besetzte weiterhin die Fantasie und ließ Wilfried Mattukat die Schiffsfährte neuerlich aufnehmen. Sein Auge fiel in der Berliner „Schiffsgarage“ auf „Sturmvogel“. Trotz Altersleiden strotzte der Schiffskörper noch vor Kraft. „Es gibt Gerüchte, dass er seinen Stahl aus der Panzerkreuzer-Produktion des Ersten Weltkrieges bezog. Und fürwahr: bis heute ist kein Anstrich auf dem Achterdeck vonnöten.“ Von der Idee eines Theaterschiffs ließen sich dann auch die größten Landratten in Stadt und Land begeistern. „Die Zeit der Wende lebte von der Neugierde und Offenheit – auch in den Kulturbehörden. Es war ein großes Zusammenrücken. Heute ist das alles undenkbar. Wir wussten nicht, wie man Förderanträge stellt. Und doch brachten wir unser Kind in preußischer Bescheidenheit auf die Beine.“ Die Ärmel wurden hoch gekrempelt, es wurde nicht nur geprobt, sondern auch tüchtig gewerkelt: entrümpelt, entrostet, gestrichen . 4500 Stunden investierten die Freizeitmimen in ihre schwimmende Bühne. Hinzu kamen 150 000 DM Förderung – und schließlich war der Kahn spielbereit. Drei Premieren zum Auftakt: Die kleine Crew stach mit großem Ehrgeiz „in See“. Doch der Achtungserfolg zur Eröffnung war noch nicht das Abo zum Glück. Denn was ausblieb, war das stete Publikum. „Unser Generalirrtum bestand darin, dass wir dachten: Bauen wir eine Kneipe rein, ist uns auch die Geldquelle fürs Theater sicher.“ Die Potsdamer umschifften indes unberührt diese kleine Museninsel, bis die Mannschaft Segel setzte: unübersehbar, auch für den größten Ignoranten. „Nach zwei Jahren hatten wir es endlich geschafft. Was uns am Herzen lag, sprang auch den Potsdamern ins Auge.“ Zum Theater gesellte sich „Kino im Kahn“ und schließlich auch der Klub Latino. „Mit ihm kamen die Berliner und das Dörflich-Einsame ging im Zigarrenrauch der Salsa-Tänzer auf.“ Die Donnerstag-Disco flog über Bord, stattdessen setzte sich vermehrt das kaufmännische Denken durch. „Da die Fördermittel immer knapper wurden, musste ich mich von meinen Rosinen im Kopf verabschieden. Familienfeiern, Firmenfeste sind heute kein Tabu mehr.“ Das Schiff brauche nun mal eine Handbreit Wasser unterm Kiel – auch wenn es den Hafen nicht mehr verlässt. Zweimal ließ es sich allerdings – weil selbst motorenlos – über die Havelgewässer ziehen: bis hin nach Polen, um dort von brandenburgischer Kultur zu „berichten“. „Diese Zeiten sind vorbei“, gibt sich Wilfried Mattukat keinen falschen Illusionen hin. „Die Kassen sind leer und auch der persönliche Kontakt zu den ,Amtsstuben“ ist passé.“ Der Blick auf die nächsten Jahre ist eher getrübt. „Mein Wunsch wäre es, dass wir wenigstens noch unser 15. Jahr hier an Bord feiern“. Dann, wie er hofft, mit neuem Käpt''n aus eigener Besatzung. Obwohl kein Pessimist, befürchtet der 62-jährige Spielleiter, dass die radikale Kürzung beim Land weitergeht, „denn wir tragen ja jetzt – festgeschmiedet am Ufer – keine Kultur mehr ins Brandenburgische hinaus. Und die Stadt hält mit Mühe und großem ,Aber“ ihre 59 000 Euro für uns aufrecht. Im Hintergrund grummelt es immer lauter, dass wir über starke Partner nachdenken sollen. Aber woher nehmen?“ Auch Potsdams ehrgeizige, durchaus erstrebenswerte Ziele mit Schloss, Erlebnisbad und Schiffbauergasse lassen ihn an einer anhaltenden Förderung zweifeln. Das Wasser stehe ihnen jedenfalls schon jetzt bis zum Hals. Zum Glück halte das Publikum treu zur Stange, „die 301 Veranstaltungen im vergangenen Jahr – darunter zunehmend auch Kabarett – waren zumeist mit 80 bis 90 Prozent ausgelastet“. Und auch die Bilanz von 40 Eigenproduktionen kann sich sehen lassen. „Wir sind in der beneidenswerten Situation, nach Lust und Laune spielen zu können, ohne Vorstellungen schrubben zu müssen.“ Aber der Ehrgeiz lässt sich dennoch nicht bremsen: jedenfalls im Anspruch an die Qualität. Waren es anfangs vor allem Komödien, die sie auf die Bühne brachten, sind es heute auch Shakespeare, Borchert und immer wieder Brecht und Weill. Mit Augenmaß und ohne sich zu verheben. Als nächstes darf man auf einen Krimi gespannt sein. „Die Mausefalle“ Agatha Christies schlägt zu. Nicht nur unter den Krähen und Ratten geht es also heiß her.
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