Kultur: Der talentierte Mr. Jedermann
Harold Lloyd und sein Stummfilm „Safety Last“
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Bis heute steht Harold Lloyd im Schatten seiner Komiker-Kollegen Charlie Chaplin und Buster Keaton. Dabei war Lloyd in seiner Glanzzeit der erfolgreichste und höchstbezahlte Filmkomiker Amerikas. Keiner repräsentierte den amerikanischen Traum vom Aufstieg so gut wie er. Mit seiner Idee, einen amerikanischen Mr. Jedermann darzustellen, traf Harold Lloyd den Nerv seiner Zeit. Sein notorisches Keepsmiling spiegelt die ungetrübte Fortschrittseuphorie im prosperierenden Amerika der zwanziger Jahre. In diesem Jahrzehnt produzierte Lloyd zwölf große Stummfilme, weit mehr als Charlie Chaplin und Buster Keaton.
1914 gründete Harold Lloyd, gerade 21 Jahre alt, seine erste Filmfirma und experimentierte mit verschiedenen Rollen, wie „Willie Work“ und „Lonesome Luke“, die noch sehr stark an Chaplins kleinem Tramp orientiert waren. Der Erfolg kam erst mit der Erfindung des Manns mit der Hornbrille. In einem Interview beschreibt Lloyd seine Figur: „Dieser Typ mit Brille, der keine komische Kleidung und keine großen Schuhe trug, sah aus wie irgendjemand, dem man auf der Straße begegnete oder der im Nebenhaus wohnte. Von Anfang an hatte ich den Strohhut. Meine Brille war eine Hornbrille. Meine Figur war aus einer etwas höheren Schicht. Ich repräsentierte mehr oder weniger den Arbeiter, die Masse. Es konnte die niedrige Masse sein oder jemand, dem es schon etwas besser ging. Jedenfalls symbolisierte ich einen Jungen, der immer gegen Widrigkeiten anzukämpfen hatte und gegen Vorgesetzte, aber wenn er genügend Entschlossenheit, genügend Ausdauer, genügend Hoffnung in sich hatte, dann blieb er Sieger. So hatte ich eine riesige Gruppe, für die ich mehr oder weniger ein Symbol war.“
Von allen Harold-Lloyd-Filmen - die Angaben schwanken zwischen 200 bis über 300 Filme - ist „Safety Last“ der berühmteste. In atemberaubenden Szenen erklimmt Lloyd in New York einen Wolkenkratzer, bis er an einem riesigen Uhrzeiger hoch über einer Straßenschlucht hängt. Diese einmalige Szene wurde zu einer Ikone des Stummfilms und wird bis heute in vielen Filmen zitiert. „Safety Last“ kann durchaus als Allegorie des sozialen Aufstiegs und unbedingten Gewinnstrebens interpretiert werden. Bis heute faszinieren die Bilder der waghalsigen Kletterpartie, für die Harold Lloyd keinen Stuntman benötigte (bis auf die Großaufnahmen, dort gab es einen Akrobaten). Kein Hindernis, weder Schmerz noch Erniedrigung halten ihn von seinem Ziel ab.
Allerdings heißt die Alternative zum Aufstieg und Gewinn, Absturz und Tod. Jedes neue Stockwerk wirke wie ein neuer Vers in einem Poem, schrieb James Agee: „je höher und schrecklicher es wird, umso lustiger wird es“. Nicht zufällig stehen Wolkenkratzer, die eindrucksvollsten Symbole amerikanischer Machtentfaltung im 20. Jahrhundert, in mehreren Filmen von Harold Lloyd im Zentrum. Doch kein anderer Film verschmolz so überzeugend Bilder, Figuren und Handlung zu einer kuriosen Erzählung aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten wie „Safety Last“. Das 1923 uraufgeführte Meisterwerk etablierte die sogenannte "thrill-comedy", in der sich atemberaubende Spannung und befreiendes Lachen die Waage halten. Nicht zuletzt die perfekte Beherrschung der filmischen Mittel und der visuelle Einfallsreichtum sichern „Safety Last“ einen Ehrenplatz im Olymp der Stummfilmkunst.Babette Kaiserkern
22. November, 20 Uhr, Großer Saal: Vom Kino zum Konzertsaal
Babette Kaiserkern D
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