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Kultur: Der unentwegte Redestrom

Mit beängstigender Virtuosität: Désirée Nick in Thomas Bernhards „Am Ziel“

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Da redet eine unentwegt, sie gönnt sich keine Pause, die, so will es scheinen, kaum Zeit hat, Atem zu holen. Bei dem Redestrom wiederholen sich oftmals dieselben Worte, Wendungen und Satzteile. Immer kehrt die Rednerin zu den gleichen Motiven zurück, zu ihrem verstorbenen Mann oder zu ihrer Tochter, die sie beide verachtet, zu ihrer angeblichen Theaterliebe. Den Zuhörer kann dies in Verzweiflung treiben oder versetzt ihn in Begeisterung. Der eine beklagt die unerträgliche Monotonie, der anderen bewundert die Suggestivität. Man kann den österreichischen Dichter Thomas Bernhard dafür lieben oder nicht.

Für fast drei Stunden waren die Zuschauer ins Hans OttoTheater eingeladen, um dem ununterbrochenen bösartigen Redefluss der Gusswerksbesitzer-Witwe zuzuhören. Irgendwann hatte jemand aus dem Publikum davon genug und bemerkte vernehmlich, ob die Rederei auf der Bühne nicht bald aufhöre. Doch die Gusswerksbesitzer-Witwe konnte ihren Erguss nicht unterbrechen, denn der ist ja schließlich das Stück: „Am Ziel“, den der Autor einst für Marianne Hoppe schrieb.

Der ellenlange Text ermüdete in der Premierennacht vielleicht auch deswegen, weil so manchem Zuschauer nach dem dreitägigen Eröffnungsmarathon des neuen Theaterhauses die Puste auszugehen schien. Der Applaus wirkte am Schluss dann insgesamt freundlich, jedoch nicht überschwänglich.

Gisbert Jäkel hat sich als Regisseur und Bühnenbildner des Rededramas angenommen. In einem großbürgerlichen Salon, der warme Farben bereithält, und doch von eiskalter Atmosphäre ist, ausgelöst durch den Menschen, der in ihm schaltet und waltet, die alternde Gusswerksbesitzer-Witwe. Sie ist eine Frau, die mit hemmungsloser Ich-Besessenheit alles an sich reißt und die Menschen, die sie um sich hat, wie ihre Tochter (Jennipher Antoni), ständig demütigt. Auch den erfolgreichen dramatischen Schriftsteller (Carsten Kochan), den Mutter und Tochter zur Sommerfrische in einen steril wirkenden Bungalow einluden, versucht sie, unter ihre Fittiche zu bekommen. Doch der hat eher ein Auge auf die junge Frau geworfen.

Die gehemmte Tochter und der offen wirkende Schriftsteller kommen bei der Alten kaum zu Wort, sie geben mehr oder weniger die stummen Parts. Vor allem Jennipher Antoni hat ihrer Rolle bewegende Momente gegeben. Auch mit Trotz und einer gewissen Ergebenheit konnte sie sich den verbalen und körperlichen Angriffen der Mutter nicht erwehren. Ihre stummen Verzweiflungen wichen einem hoffnungsvollem Lächeln immer dann, wenn sie den Schriftsteller in ihrer Nähe hatte.

Désirée Nick sagte im Vorfeld zur Premiere, dass die Gusswerksbesitzer-Witwe die Rolle ihres Lebens sei. Das nimmt man ihr ab. Denn die Schauspielerin liegt ganz und gar darauf. Natürlich kann man sich die Interpretation auch nuancenreicher vorstellen, eine größere psychologische Genauigkeit wäre auch nicht schlecht. Die Nick betonte das Groteske, eine Frau, die fast immer nahe an der Verrücktheit agiert, die sie dann auch mit beängstigender Virtuosität spielte. Auch Hut ab vor ihrer großen Textsicherheit. Klaus Büstrin

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