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Kunstvolle Eselei. Ilka Schönbein und ihr Theater Meschugge zeigen am 3. und 4. November im T-Werk das irrwitzige Traumspiel „Die Alte und das Biest“, eine Parabel über Verwandlung und Auferstehung.

© T-Werk

Kultur: Der Untergang der Gummibärchen

„Unidram“, das Internationale Theaterfestival, lädt ab kommenden Mittwoch in die Schiffbauergasse

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Vier Männer greifen lustvoll in die Tüte und lassen sich die kleinen bunten Gummibären schmecken. Kurz darauf bevölkern Hunderte dieser Bärchen eine schüsselgroße Stadt, in deren Mitte ein gläserner Turm aufragt. Dann brodelt es in diesem durchsichtigen Gefäß. Eine rote Flüssigkeit kocht auf, quillt über und begräbt wie im Märchen vom süßen Brei im Nu die Bärchen-Idylle unter sich. Es sind die inneren Bilder, die das Stück „Katastrophe“ der spanischen Gruppe Agrupacion Senor Serrano bei dem Zuschauer abruft. Aus dem poetischen Miniature-Spiel, das auf große Leinwand projiziert wird, erwachsen plötzlich vor dem geistigen Auge nukleare Apokalypsen, Tsunamis, Kriege, Genozide. Die kleinen bunten Gummibären kleben dem Betrachter den Magen zu.

Schon dieser eine Mitschnitt auf DVD schürt die Neugier auf das 18. Internationale Theaterfestival „Unidram“, das am Mittwoch, dem 2. November, eröffnet wird. Diesmal erstreckt sich das Angebot nicht mehr über neun Tage, sondern ist auf fünf Tage komprimiert, ohne den Programmumfang zu beschneiden. 13 Inszenierungen aus sieben Ländern, abgerundet durch vier Konzerte, erwarten die Zuschauer: tragisch und heiter, verwirrend und verzaubernd, bizarr und verrückt.

Die Auferstehungsgeschichte „Die Alte und das Biest“ hat wohl von allem etwas und ist vor allem eines: ganz besonders. Jens-Uwe Sprengel, künstlerischer Leiter vom T-Werk, freut sich, dass er Ilka Schönbein zum ersten Mal für das Festival gewinnen konnte. „Sie gehört zur Weltspitze im Figuren-Maskentheater“, schwärmt er. Nachdem er ein Porträt auf „Arte“ über sie gesehen hatte, war er ihr auf der Fährte. Doch die aus Darmstadt kommende Tänzerin und Schauspielerin, die auf allen großen Festivals auftritt, hat keine Homepage. Sie verweigert sich dem großen Vermarktungsbetrieb. Als Jens-Uwe Sprengel las, dass sie einen Auftritt in Magdeburg haben würde, war er natürlich dabei – und konnte sie für Unidram gewinnen, das sie nun mit ihrem Wohnwagen ansteuert.

„Die Alte und das Biest“ ist ein skurriles Spiel der Verwandlungen, wenn Ilka Schönbein sich in Lumpen hüllt und einer zahnlosen Alten mit verschmierter Königskrone Gestalt gibt, aus der erst eine Ballerina, dann ein Esel herauswächst. Diese dürre Kreatur mit dem Tod in den Augen ist halb Fee, halb Hexe und erzählt mit einfachsten Mitteln und doch in unglaublicher Körperpräsenz über die letzten Dinge, „die nicht das Ende, sondern Vollendung meinen“, wie im Programmheft zu lesen ist. Diese Künstlerin lebt noch die Vision vom fahrenden Volk, das ohne viel Aufwand, Theater zum Anfassen unter die Leute bringt.

Auch die Eröffnung verheißt einen kraftvollen, mitreißenden Theaterabend. Das Prager Theater „Farm in the Cave“ verhandelt erneut große Menschheitsthemen. Sie zeigten bei Unidram bereits Stücke über die Deportation von Juden in Polen und über die Ausgrenzung der Roma weltweit. In „Divadlo“ geht es um die Spätfolgen der Kolonisation in Südamerika durch die europäischen Eroberer. Auf einer Bühne zwischen nächtlicher Straßenecke, staubigem Marktplatz und blutiger Arena mischen sie Travestieshow und Karnevalsparodien, Flamenco und Samba und erzählen in einem expressiven Tanztheater von Liebe und Stolz, Angst und Tod. Jens-Uwe Sprengel, der diese Inszenierung bereits in Prag gesehen hat, zeigt sich vor allem von der energetischen Form des Spiels angetan. „Ich saß wie atemlos in der Vorstellung und habe die Situationen förmlich mit durchlebt.“ Eine Eindringlichkeit, die sicher mit daraus resultiert, dass die Künstler vor Ort in Lateinamerika ihr Tanzstück entwickelten.

Aus 300 Bewerbungen wählten die Mitarbeiter vom T-Werk ihre diesjährigen Festival-Inszenierungen aus. Dass die französische Gruppe „Les Antliaclastes“ eine Einladung erhält, stand außer Frage. Ihr multimediales Marionettentheater „Hilum“ lief bereits auf vielen Festivals und sei das Skurrilste, was er seit langem gesehen habe, sagt Sprengel. Eine der Spielerinnen, Josephine Biereye, bringt zudem Lokalkolorit mit ein: schließlich gehörte sie als inzwischen abgenabelte Tochter von Gründerin Margarete Biereye zum Glindower Wandertheater „Ton und Kirschen“. Wiedererkennen wird man sie indes kaum, denn die Spieler tragen alle gehäkelte Schleier vor dem Gesicht, wenn sie rund um eine Waschmaschine ihre kleinen Marionetten zur Geisterstunde rufen. „Hilum“ erzählt in einem morbiden Waschsalon von Waisenkindern, die zurückkehren an den Ort ihrer Pein.

Das neue Konzept von Unidram, das den Focus auf das Wochenende legt und statt der einen „Langen Nacht“ nun mehrere anbietet, setzt auf eine Wiederholung der Aufführungen. So hat auch Mundpropaganda eine Chance: Denn was wirklich überzeugt, weiß am nächsten Tag halb Potsdam.

Unidram vom 2. bis 6. November an verschiedenen Veranstaltungsorten in der Schiffbauergasse, Karten unter Tel.: (0331) 71 91 39 oder www.unidram.de

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