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Kultur: Der wilde Westen in Tausendundeiner Nacht

„Nathan der Weise“ ins Heute geholt

Stand:

Dieser „Nathan“ kommt als Melodram daher. Er spannt den Bogen von arabischer Folklore über die h-Moll-Messe Bachs bis zu Beethovens 9. Sinfonie, in der alle Menschen Brüder werden. Dazwischen verdunkeln Akkorde eines Bombenhagels den Theaterhimmel. Regisseur Uwe Eric Laufenberg siedelt das fast 230 Jahre alte dramatische Gedicht Lessings mitten im Pulverfass des heutigen Nah-Ost-Konflikts an. Das, was wir allabendlich in unsere Wohnzimmer hinein flimmern sehen, bekommt auf der Bühne seine greifbaren, fratzenhaften Konturen.

Auch hier – auf der Bühne des neuen Theaterhauses – steht ein Fernseher und zeigt Bilder von Panzern, die durch die Wüste rollen, mit Toten gesäumte Schlachtfelder, brennende amerikanische Flaggen. Plötzlich gibt es eine Stichflamme aus dem Fernsehgerät. Das Bild ist dunkel, die Szenerie wird auf die Spielfläche verlagert. Dort kommt gerade Nathan, der Kaufmann, von einer Geschäftsreise zurück. Seine Diener rollen zig vollbeladene schwarze Koffer hinterdrein. Der reiche Jude hat also seinen Reichtum vermehrt. Doch sein wichtigster „Besitz“ ist Recha, die geliebte Tochter. Und gerade die wurde während seiner Abwesenheit fast verbrannt. Hätte sie nicht der Tempelherr, ein junger stattlicher Christ, vor dem Tod gerettet.

Und da beginnen die religionsverstrickten Probleme, in der schließlich auch noch Sultan Saladin, der Muselmann, ein mächtiges Wort mitzureden hat. Der führt sich auf wie ein herausgeputzter Salonlöwe, die Knarre stets locker im Anschlag. Seine Schwester Sittah versucht dem etwas grob gestrickten Lebemann ein wenig Feinschliff zu geben. Sie beide – von Rita Feldmeier und Werner Eng trefflich gespielt – sind ein fürstliches Intrigantenpaar, das sich scheinbar auch im Bett bestens versteht.

Laufenberg geizt nicht mit Anspielungen und Überhöhungen, die der Geschichte Spannung verleihen, sie aber auch mit überstrapazierten Ideen ab und an belasten. Wenn Tobias Rott als Derwisch über die Bühne fegt und sich slapstickartig mit seinen drei permanent klingelnden Handys eine Dauerschlacht liefert, verpufft sein Text zum Teil ungehört im Bühnenrund. Überhaupt ist in diesem akustisch empfindsamen Haus eine hohe Sprachkultur gefordert. Und die bringen in dieser Inszenierung fast alle Schauspieler mit. Allen voran Günter Junghans, der seinen Nathan sehr konzentriert und eindrücklich spielt. Er ist nicht der über alles stehende, vor Weisheit triefende Gelehrte, sondern ein Mann zum Anfassen, der nicht viel Gewese um sich macht.

Seine berühmte Ringparabel spricht er in dem Schießkeller des Sultans, der mit Blutspuren und leuchtend-roten Gummihandschuhen an eine Folterkammer erinnert. Der Lichtkegel ist auf Nathan gerichtet. Er erzählt die Geschichte vom Vater und seinen drei Söhnen, die wissen wollen, welcher ihm der liebste sei, ohne Pathos, eher wie ein tief blickender Märchenerzähler aus Tausendundeiner Nacht. Doch Laufenberg versucht konsequent, gegen das allzu Märchenhafte des Lessing-Stücks anzugehen. Die von Javeh Asefdjah gespielte Recha ist ein Mädchen im Backfischalter: mit Brille und weißen Kniestrümpfen, aber einer ganzen Kollektion von Hackenschuhen. Sie begegnet ihrer ersten sexuellen Wallung mit einem Gemisch von Unbeholfenheit und Selbstbewusstsein. Doch noch ist die Schauspielerin mit ihrer Rolle nicht ganz verwachsen, kommt sie auch sprachlich nur schwer über die Bühne. Hannes Wegener als Tempelherr ist hingegen das reinste Kraftpaket. Er brilliert zwischen Rebell und entflammtem Liebhaber und weiß die Nuancen mit Charme und großer Präsenz auszuloten.

Warum er allerdings vor lauter Liebesglück auf der Bühne urinieren muss, ist genauso geschmäcklerisch wie das Hosenrunterlassen des zwischen den Welten changierenden Derwisch. Manchmal ist weniger mehr. So wie auch das ständige Gezappe Saladins durch die TV-Welt und der eingebaute Text Harold Pinters anlässlich seiner Nobelpreisverleihung über die mörderische Rambopolitik von Bush zu viel des Guten sind. Der Zuschauer versteht“s auch ohne Holzhammer.

Viel eindringlicher ist hingegen die Bühne Gisbert Jäkels, die von einer riesigen verschiebbaren Mauer durchtrennt wird. Sie lässt die Kluften zwischen den von Vorurteilen gespeisten Religionen fühlbar werden. In dieser engen hohen Mauer kommt auch der Patriarch herein gefahren: als seniler Tattergreis mit kurzen Geistesblitzen – den verstorbenen Papst karikierend. Andreas Herrmann liefert – bestens assistiert von „Klosterbruder“ Roland Kuchenbuch – in dieser kurzen Szene ein Bonmot geschliffener Sprache und pointierter Antiquiertheit.

Das Ende ist dann ganz im Stile Hollywoods. Nachdem Daja, Rechas Gesellschafterin (mit Rahel Ohm ebenfalls gut besetzt) ausgeplaudert hat, dass Recha gar keine Jüdin ist, und das Karussell der Verwicklungen und Demütigungen sich schließlich ausgedreht hat, fallen sich alle in die Arme– Christ, Jude, Muselmann. Es fehlen bloß noch die aufsteigenden bunten Luftballons. So schön könnte die Welt sein.

Laufenberg verzichtet darauf, diesen Traum durch die Bitternis der Realität zu trüben. Ein anregender Abend, der den großen Spagat schafft, Lessing fühlbar ins Heute zu holen.

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