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Kultur: Der Wunsch nach Erlösung?

Film und Vortrag im Filmmuseum: Politik und Religion in der Moderne

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Film und Vortrag im Filmmuseum: Politik und Religion in der Moderne Durch die Erfahrung von echter Kameradschaft unter den Lehrlingen im Flugzeugwerk, von körperlicher Arbeit und den Freuden des Lebens in einer verständnisvoll geleiteten Gruppe, wird der auf Abwege geratene Sohn des Werkdirektors geläutert und zu einem ehrlichen, disziplinierten, charaktervollen Menschen. Als der Propagandafilm „Junge Adler“ am 24. Mai 1944 in die deutschen Kinos kam, wurde er ein großer Erfolg und erhielt das NS-Prädikat „Staatspolitisch wertvoll“. Sieht man ihn heute, so langweilen die billig gestrickte Dramaturgie, die plumpe Didaktik und orchestergestützte Dramatik. Unbehagen erzeugen die jungen Gesichter der Laiendarsteller, die begeistert marschieren, im Chor skandieren und zackig-kraftvoll die einfache Melodie singen, die ihr Kamerad komponiert hat . Unbehagen erzeugt auch der Umstand, wie leicht es dem Film gelingt, mit schnellen Schnitten wirkungsvolle, an Leni Riefenstahl erinnernde Collagen aus jugendlicher Kraft, Schönheit, Fleiß, Glück zu basteln. Nur bei der Konzertszene gegen Ende tauchen ältere, verhärmte Gesichter auf, in denen man das zu lesen meint, was die tatsächliche und nicht die Ufa-Realität des seit sechs Jahren Krieg führenden Deutschlands war. Die Alliierten verboten den Film, 1980 wurde er für Schulaufführungen und schließlich ganz freigegeben. Das Filmmuseum zeigte ihn im Rahmen der Vortrags- und Filmreihe „Politik und Religion in der Moderne“, die in Kooperation mit dem Forum Neuer Markt statfindet. Die Filme sollen, so erklärte der Filmhistoriker Günter Agde, der alle Filme einführt, einen Diskussionsbeitrag leisten zu den Vorträgen, die jeweils am Tag nach der Vorführung im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte stattfinden. In den Vorträgen geht es um die Fragen, inwiefern die großen politischen Bewegungen seit der Aufklärung religiöse Züge tragen, wo die Grenzen politischer Verständigung zwischen religiös unterschiedlich geformten Kulturen liegen und wie die religiösen Traditionen mit sich und anderen umgehen. Nach dem gut gefüllten Kinosaal bei der Filmvorführung war der Vortrag zu dem Thema „ ‚Hitlers Heil''. Der Nationalsozialismus - eine politische Religion?“ nur dürftig besucht. Doch die zwei kurzen Referate, von Martin Sabrow und Árpád von Klimó (Zentrum für Zeithistorische Forschung) gehalten, führten zu einer regen und interessanten Diskussion. Dass sich der Nationalsozialismus nicht allein dadurch erklären lässt, dass er womöglich eine politische Religion war, machten beide Redner deutlich. Dem Nationalsozialismus fehlte das Transzendente, er praktizierte wohl eher eine Pseudoreligion. Deshalb vertrat Martin Sabrow das Charisma-Konzept, das den Nationalsozialismus hauptsächlich durch die Beziehung zwischen Hitler und der Bevölkerung zu verstehen versucht. Die Leute, erfüllt von dem Wunsch nach Erlösung aus einer schwierigen Zeit, glaubten an die besondere Fähigkeit dieses Menschen und lieferten sich seiner Führung aus. Hätte eine charismatische Persönlichkeit heute eine Chance oder ist die Bevölkerung kritischer geworden? fragte eine Dame aus dem Publikum. Zwar sei es fraglich, ob die Gesellschaft durch die Erfahrung des Nationalsozialismus resistent wurde, doch zumindest trügen die Medien dazu bei, dass sich Charisma heute schnell abnutze, meinte Martin Sabrow. Der Autor des Films "Junge Adler", Herbert Reinecker, später unter anderem mit „Derrick“ sehr erfolgreich, sagte 1989: „Wenn ich eines gelernt habe, dann ist es die Erkenntnis, sich nie wieder von einem Menschen begeistern zu lassen“. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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