Kultur: Der zähe Tanz um Anerkennung
Sabine Chwalisz ist künstlerische Leiterin der fabrik. Aus Potsdam hat sie zusammen mit Sven Till ein Zentrum für den zeitgenössischen Tanz gemacht
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Vor Kurzem ist Sabine Chwalisz aus Mexiko zurückgekommen. Das dortige Goethe-Institut hatte Vertreter der zeitgenössischen Tanzszene aus Europa eingeladen, zum kreativen Austausch. Und auch Sabine Chwalisz, die gemeinsam mit Sven Till Potsdams fabrik leitet, war dabei. Wohltuend sei das gewesen, diese Wertschätzung für ihre Arbeit zu spüren, die ihr hier manchmal fehlt. Manchmal hat sie das Gefühl, es gehöre zum guten Ton in Potsdam, über die Schiffbauergasse zu meckern. „Besucher, die von weiter weg zu uns kommen, die schwärmen: ,Ihr habt es so schön hier!’“
Das stimmt in mehrfacher Hinsicht: Nicht alle Tanzzentren sind so vergleichsweise modern und auskömmlich ausgestattet. Dazu kommt in Potsdam die besondere Lage: Der Blick aus den Studios und der Gemeinschaftsküche, die von Mitarbeitern und Künstlern genutzt wird, fällt hinaus ins Grüne, ins Blaue, der Tiefe See beginnt kaum zehn Meter vom Haus entfernt. Deshalb fällt es Sabine Chwalisz schwer, zu verstehen, dass immer noch gemeckert wird in Potsdam. Die Schiffbauergasse sei tot, zu sehr saniert, verplant. „Natürlich, Montagfrüh um acht ist hier nichts los. Die Leute müssen eben dann kommen, wenn hier etwas passiert. Vor allem müssen sie herkommen wollen. Wir machen ein Angebot, nutzen muss das schon jeder selber.“
Solche Aussagen dokumentieren eine gewisse Mischung aus Zähigkeit und Pragmatismus, mit der sie an diese Sachen rangeht. Sonst wäre sie wohl nie hier angekommen – 25 Jahre fabrik sind es in diesem Jahr. Sabine Chwalisz ist nicht ganz von Anfang an dabei, aber doch seitdem es allen mit dem Zentrum für zeitgenössischen Tanz ernst war. Anfang der 1990er lebte sie in Berlin, arbeitete unter anderem als Produktionsassistentin in der freien Tanzszene, organisierte, gab Kurse. Zuvor hatte sie Psychologie studiert, zusätzlich zum Diplom eine Tanzausbildung gemacht. „Ich habe relativ spät damit angefangen. Aber ich wusste dann ganz genau – das ist es, was ich machen will.“ 1992 besuchte sie die 2. Tanztage in der fabrik, die damals noch in der Gutenbergstraße residierte. Und begann bald darauf, in Potsdam zu unterrichten. „Ich fand das spannend – hier passierte was. Modernen Tanz hatte es im Osten bis zur Wende wenig gegeben. Es gab Ballett, Folklore und das Fernsehballett.“
Doch ein Haus in freier Trägerschaft aufzubauen war nicht so einfach. Als sie spürte, dass sich die Potsdamer damit schwertaten, machte sie ihnen ein Angebot. Sie würde nach Potsdam kommen und in die fabrik einsteigen. War das ein Risiko? Nein, sagt sie, in Berlin hatte sie außer einer kleinen Wohnung mit Kohleheizung nichts zu verlieren. Und die zwei Stunden Pendelverkehr pro Strecke würden ihr auch nicht fehlen. Hier war alles viel aufregender. „Mir begegnete in Potsdam eine riesige Neugierde. Wir hatten so viele Möglichkeiten, etwas zu gestalten.“
Die Entwicklung in Potsdam ist eng mit ihrer eigenen verwoben. Gern tauschte sie die provisorischen Berliner Verhältnisse gegen eine gewisse Kontinuität ein. In Potsdam, so spürte sie, würde sich etwas entwickeln, es gab Spielraum – und Leute, die bereit waren, Konflikte auszuhalten. Dieses Projekt würde nicht nur ein paar Wochen dauern. Das kam ihr entgegen. „Ich bin menschlich etwas langsam“, sagt sie über sich selbst. Soll heißen: Sie brauche eine Weile, bis sie in einer Situation ankommt, Vertrauen fasst. Dann aber sei sie ganz da. Für ihr Durchhalten wurde sie in diesem Jahr ausgezeichnet, durfte sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen.
Erzählen wird sie das allerdings niemandem. Viel lieber redet sie über Inhaltliches, den Tanz. „Der Körper in Bewegung hat eine unglaubliche Kraft, zu fesseln, zu berühren.“ Definieren kann man aber nicht, was mit modernem, zeitgenössischem Tanz gemeint ist. Alles, findet sie. Von der Supersynchronchoreografie bis zur verbalen, fast nicht-getanzten Performance mit Video und Musikkomponenten. Die Frage nach einem Kontext für das Bühnengeschehen findet sie überflüssig. Vieles erschließe sich erst später – oder eben gar nicht. „Aber der deutsche Kopf insbesondere versucht immer, einen Kontext herzustellen, sucht das Verstehen“, sagt sie und muss lachen. „Manchmal muss man das Verstehenwollen abschalten.“ Sonst verpasst man das, worauf es wirklich ankommt. „Ich schätze das, was in diesem Livemoment passiert. Das ist ein einzigartiger Moment, da passiert etwas zwischen mir und dem Künstler.“
Nein, langweilig wird das nie. Auch nach 23 Jahren ist sie intensiv in das Tanzgeschehen involviert, beobachtet, setzt sich in die Proben, in die Vorstellungen. Zum Produzieren kommt sie nur selten, seit sie Familie hat. Die Kitaschließzeiten orientieren sich eben nicht am Probenkalender der Tanzfabrik. „Ich kann schlecht sagen: ,Leute, es läuft zwar gerade richtig gut, aber ich muss jetzt los.’“
Wenn sie sich was wünschen könnte für die fabrik, dann ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Von den Potsdamern und den Lokalpolitikern. Bis 2022 seien sie zwar im Rahmen der EU-Förderung relativ stabil abgesichert. Aber in der Zusammenarbeit mit der Stadt könnte manches besser laufen. Unterschiedliche Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung machen vieles komplizierter, als es sein müsste. Und die Wirtschaftsförderung komme für Besuche vorbei und verspreche viel. „Aber wenn wir dann konkret etwas brauchen, dann kommt nix“, sagt Sabine Chwalisz. Sie hat dabei ganz konkrete Ideen: Warum zum Beispiel fahren die Touristenbusse zwar die Schlösser an, machen aber keinen Schlenker durch die Schiffbauergasse? Fürs Haus wünscht sie sich eine zweite Probebühne, in Echtgröße, und mehr Personal. Dass was da ist, ist unterbezahlt, ebenso wie viele Künstler. „Diese Diskussion ist noch zu führen“, sagt sie. Und zeigt dann wieder dieses sanfte, zähe Lächeln.
nbsp;Steffi Pyanoe
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