
© Andreas Klaer
Kultur: „Der Zauber darf nicht versickern“
Robert Segner lebt für die „Platte“. Am 17. und 18. August gibt es die B-Seite des „Plattenspielers“: Das Kiezfest in Potsdam-West
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Vorsichtig kommt er mit seinem Fahrrad auf den Platz gerollt. Aus dem großen Holzkasten an seinem Lenker nimmt er zwei Plastikbecher mit Kaffee und lädt ein, es sich auf der mit Blumen umpflanzten „Bank“ gemütlich zu machen. Diese durchaus bequeme Sitzmöglichkeit besteht aus alten Bordsteinen, die irgendwann in der 70er Jahren vom Alten Markt hier hergeschafft wurden, erzählt Robert Segner. Die Worte schießen dem jungen Mann mit dem rotblonden Dreitagebart und kurzrasiertem Haar wie eine Fontäne aus dem Mund. Er ist die pure Energie. Wenn er von seiner „Platte“ spricht, strahlt der ganze Körper. „Einzigartig“, „cool“, schwärmt er immer wieder von diesem versteckten Platz in Potsdam-West zwischen Haeckel-, Kobelsdorff- und Stormstraße. Auch wenn andere ihn mitunter als abgeranzt oder hässlich abtun, kann das seine Liebe nicht schmälern. „Man muss auch immer anders denken können“, sagt Robert Segner, und räumt ein, dass seine Begeisterung für den Ort wohl kein Selbstverständnis sei.
Doch mit seiner Euphorie hat der 26-Jährige schon Bewohner quer durch alle Generationen, die in den umgebenen Plattenbauten wohnen, zur Schule, in die Kita oder in den Kinderklub Einsteinkids gehen, angesteckt. Es gibt viele sich überlagernde Spuren, die von dieser fröhlichen Besitznahme erzählen: skurrile bunte Gesichter, die Kinder auf den Boden malten, kunstvolle Graffitis an großen Betonstelen, die beim ersten Kiezfest „Plattenspieler“ im vergangenen Sommer besprüht wurden. 1000 Menschen kamen im August 2011, um die Freifläche mit Musik, Tanz, Malerei oder einfach mit wohligem Nichtstun im Schatten des grünen Gürtels, der den Platz so wunderbar umspannt, einzuweihen. Die Kinder tobten unter Lichterketten auf Heuballen herum, Sprayer und international bekannte Breakdancer battleten, Potsdamer Musiker lösten sich aus dem Korsett ihrer Bands, um mit anderen in eine Jam Session zu treten.
Am 17. und 18. August wird nun die „B-Seite“ auf den „Plattenspieler“ gelegt. Und Robert Segner hofft, dass diesmal doppelt so viele Besucher kommen, um dabei zu sein, wenn erneut Breakdancer aus Europa in einen Wettstreit treten und Street-Art-Künstler aus ganz Deutschland ihre Farbspuren hinterlassen. Denn alles kann, ja soll übermalt werden, was derzeit an originellen Bildwerken die „Platte“ überzieht. Denn dieser Platz soll – anders als der „heilige“ denkmalgeschützte Untergrund in der Schiffbauergasse –nichts konservieren.
Es war vor gut zwei Jahren, als Robert Segner die Idee hatte, die „Platte“, die in den 70er Jahren mal als Schulhof gedacht war, dann aber als Lagerfläche für eine entstehende Bahntrasse genutzt wurde und schließlich als Glassplitter-Teppich endete, als Ort für ein Breakdance-Battle zu kreieren. Selbst Hip-Hopper, der seine ersten Drehungen in der Oxymoron Dance Company vom Waschhaus lernte, fand er diese Betonfläche geradezu ideal. Schließlich kommt Hip-Hop von der Straße. Erste Erfahrungen im Organisieren von Veranstaltungen im Freien hatte er schon beim Studium der Kulturarbeit an der Fachhochschule Potsdam gesammelt, als er das Wohngebietsfest „Wir tanzen in Drewitz“ mit in die Hand nahm. Und er war begeistert über die Reaktion. Dann gings zum Praxissemester nach St. Petersburg, mit vagen exotischen Vorstellungen, aber immerhin mit ein paar Russischkenntnissen ausgestattet, die er vom Espengrund-Gymnasium mitgenommen hatte. Doch was anfangen allein in der Fremde und mit einer wenig herausfordernden Tätigkeit? Also überlegte sich Robert Segner in telefonischer Absprache mit dem heimatlichen Offenen Kunstverein, ein Theater-Austauschprojekt zwischen Potsdam und Russland anzuschieben. „Ich sprach bei allen wichtigen Sowjetmuttis an der Universität und im Stadtparlament vor, die nach süßem Parfüm rochen und dicke Goldklunkern trugen, aber nichts kam dabei raus.“ Schließlich traf er abends an der Bar auf das umtriebige Mädchen Ljuba, mit dem er gemeinsam ein Projekt entwickelte, aus dem mittlerweile viele Theateraufführungen in Potsdam und St. Petersburg entstanden sind.
Robert Segner ist Netzwerker. Er geht auf Leute zu, nicht nur auf die in seinem Alter. Er vermittelt zwischen den Generationen. Selbstbewusst setzt er sich mit zu seinen ehemaligen Lehrern der „Platte“-angrenzenden Zeppelin-Grundschule, isst mit ihnen Kuchen und entwickelt dabei Ideen für neue Workshops, in denen die heutigen Schüler ihre Kreativität jenseits der Klassenzimmer ausleben können. Als er selbst noch hier lernte, hing er oft nach dem Unterricht mit Klassenkameraden unter der Pergola der „Platte“ ab. Heute steht „Christiansand“ an der Überdachung und erinnert an die Theateraufführung „Peer Gynt“, die der Offene Kunstverein vor den Sommerferein zwischen Wäldchen, Wiese und Asphalt gab.
„Ich bin in der Kastanienallee aufgewachsen“, erzählt Robert Segner, „in der Straße, nach der gleich ,Geltow-Ost’ beginnt. So nannte man diese Neubausiedlung, in der die ,Platte’ liegt, denn man hatte das Gefühl, dass Potsdam hier zu Ende ist.“ Robert Segner hilft inzwischen als Minijobber des Stadtteilnetzwerkes Potsdam West e.V. mit, dass sich das ändert. Als er den Geschäftsführer Daniel Zeller mit seiner Idee von der „Platte“ konfrontierte, sagte der sofort: ,Wir unterstützen dich’, obwohl er den Ort nicht kannte. Aber er wollte schon immer die Grenze knacken.“
Auch dafür dreht Robert Segner seinen „Plattenspieler“, der den Charme der freien Aktionsfläche beschwört. Allerdings hatte es die B-Seite schwer, finanzielle Unterstützung zu finden, obwohl nach dem Auftakt überall vom Zauber des Ortes gesprochen wurde. „Ich habe 2011 nichts anderes in meiner energetischen, aufdringlichen, schusseligen Art gemacht, als den Plattenspieler in Schwung zu bringen.“ Und schließlich standen ihm am Ende rund 40 ehrenamtliche Helfer zur Seite. „Und ich brenne dafür wie am ersten Tag. Man muss nur Leute finden, die genauso ticken.“ Die Anträge seines Vereins beim Fonds für Soziokultur und bei der Stiftung Waisenhaus auf eine längerfristige Finanzierung der „Platte“, die über die Basisfinanzierung für Begegnungsarbeit im Kiez hinausgeht, wurden indes abgelehnt. „Die Stiftung Waisenhaus fand das Projekt zwar gut, aber sie will nicht in den blauen Dunst hinein, sondern nur konkrete Bausteine fördern. Das müssen wir das nächste Mal berücksichtigen. Wir haben es aber trotzdem geschafft, das Geld für den ,Plattenspieler’ zusammenzukriegen“; und zwar aus Töpfen von AStA und Studentenwerk sowie von der Vereinigung der Fachschaften der Universität Potsdam. „Es muss sich eine finanzielle Sicherheit einstellen, dass der Zauber der Platte nicht versickert“, so Segner. Er erzählt, dass derzeit 24 Studenten der Uni in einem Praxisseminar Sozialforschung in der Plattenbausiedlung betreiben. Sie befragen Anwohner, wie sie die Veränderungen des Platzes und ihres Stadtteils bewerten. „Im September soll das Projekt abgeschlossen sein. Mal sehen, was wir daraus für uns ableiten können. Es ist ein Platz sicher nicht für alle, aber für jeden, und wir versuchen, alle abzuholen.“ Natürlich gab es vereinzelt Beschwerden von älteren Anwohnern, als es im vergangenen Jahr zu laut beim „Plattenspieler“ wurde. „Auch das nehmen wir ernst. Andere kamen wiederum vorbei und brachten uns gezuckerte Erdbeeren.“ Im September soll es jedenfalls an diesem vor allem Tagsüber-Ort einen Mittagsbasar mit Blasmusik speziell für ältere Leute geben. Und gemeinsam mit der Gesamtschule sammelt der Netzwerk-Verein Kiezgeschichten, die in einer Broschüre veröffentlicht werden sollen.
Auch baulich geht es vorwärts an diesem Ort mit der alternativ-aufbegehrenden und zugleich entspannten Atmosphäre. „Es gibt schon zwei Papierkörbe“, freut sich Robert Segner und wirft die leeren Kaffeebecher hinein. Im Oktober kommt unter der Pergola eine „Plattenbox“ hinzu, ein abschließbarer Raum für Bierbänke und Sitzmatten. Ja, und auch der Winter ist bereits in seinem Kopf eingezogen: Da soll es alternative Winterspiele mit Baumstamm-Weitwurf geben und einen Wettbewerb im Zertreten von Euro-Paletten. „Das Kleinholz können wir dann gleich für ein wärmendes Feuer nutzen. Hier kann man lebendig sein, auch indem man aneckt.“
Noch lebt er, der Charme des unerschlossenen Ortes. Sein eigenes Leben sei jedenfalls die ganze Zeit wie unter Strom, „einfach Peng. Ich habe gar keine Zeit, runterzukommen.“ Und aus dem Stand stellt sich Robert Segner morgens um 10 Uhr auch mal schnell auf einen Arm, um in die Kamera zu posen. Dieses Spontane gehört eben auch dazu.
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