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Kultur: Der Zauber der Nachtigall

Premiere im Schlosstheater: Anna Palimina singt ab Freitag in „La Clemenza di Tito“ die Servilia

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Das Singen ist für sie wie eine Droge. Wenn aber die Gefahr besteht, von ihr abhängig zu werden, wird sie von ihr lassen. Für Anna Palimina muss sich das Leben im Gleichgewicht befinden. „Es gibt wichtigere Dinge als den Gesang: die Familie, die Freunde.“ Und vor allem die Liebe. Die Sängerin strahlt ihr Glück nach außen. Wenn sie am Freitag zur Premiere von „La Clemenza di Tito“ (Titus) die Partie der Servilia im Schlosstheater singt, wird sie das vor allem auch für ihren Vitaly tun. „Diese Rolle verkörpert etwas Reines und sie erzählt von der wahren Liebe, die ich auch gefunden habe“, erzählt die 26-Jährige in ihrer gewinnend offenen und fröhlichen Art.

Die Proben zu ihrer erst zweiten Opernrolle betrachtet die Moldawierin als ganz normale Arbeit. „Es ist wie beim Putzen: Hier muss noch ein bisschen poliert, dort noch ein Fleck entfernt werden. Doch wenn du in dein Kostüm schlüpfst, fühlst du dich, als würdest du den Weihnachtsbaum schmücken. Es wird geheimnisvoll. Mit dem Schritt auf die Bühne beginnt ein schönes Spiel, weit weg vom Alltag.“ Diesen Glanz möchte sie sich bewahren.

Wenn Insider ihren Namen bereits verheißungsvoll nennen, wehrt sie nur ab: „Ich bin noch nicht eins mit mir: Hier ist die Stimme und dort bin ich.“ Aber in der Musik fühlt sie immer etwas Göttliches, beim Klavier spielen genauso wie beim Singen.

Es ist für sie spannend, dass ihre ersten beiden Rollen so entgegengesetzt sind: In München im Staatstheater am Gärtnerplatz singt sie seit Sommer unter der Leitung von Ekkehard Klemm in Dieter Schnebls „Majakowskis Tod“ die weibliche Hauptrolle. „Ein ganz modernes Stück. Bei dieser Musik bekomme ich Gänsehaut.“ Und hier in Potsdam nun in der Regie von Uwe Eric Laufenberg gibt sie Mozart: „Total anders und auch sehr schön.“ Sie sei gern in den Teams und begeistert sich an den Visionen der Regisseure. „Sie haben etwas von Wahrsagern.“ Sie selbst sehe sich wie ein Soldat, der dem General freudig Folge leistet.

Der Gesang ist eine Tür, der sich durch Zufall für sie öffnete und schnell auch wieder zufallen könnte. Annas Liebe gehört seit ihrer Kindheit dem Klavier. „Ich war zehn Jahre, als meine Oma mir eins schenkte.“ Und schon ist Anna ganz bei ihrer Großmutter, deren Lebensgeschichte sie sich immer und immer wieder erzählen lässt. Und eines Tages auch aufschreiben möchte. „Nichts von dem soll verloren gehen.“ Durch ihre Oma kam sie nach Deutschland: ungewollt und ungefragt, weg von der geliebten Mutter und den Geschwistern.

„Meine Oma zog mich als Pflegetochter auf. Aber wir wohnten im gleichen Haus wie meine Mutter, ihr zweiter Mann und meine drei Halbgeschwister. Ich war kein einfaches Kind, mein Stiefvater war gegen meine Musik. Er sagte immer: ,Damit kannst du in unserem Land nichts verdienen“.“

Der Vater ihrer Großmutter sei Deutscher gewesen, die Mutter Ukrainerin. Die Familie lebte lange Zeit in Polen. „Als die Russen kamen, wurden sie nach Sibirien verbannt. Sie beteten stumm, dass der Teufel Stalin weg geht. Viele sind in dieser Zeit ums Leben gekommen, waren der harten Arbeit des Torfstechens nicht gewachsen. Nach Stalins Tod wurde es etwas erträglicher. Meine Oma heiratete einen Russen und blieb in Sibirien. Doch der Mann trank, und so verließ sie ihn mit den zwei Töchtern. Der Krieg hatte sie stark und hart gemacht. Ihren Vater verlor sie, nachdem er wegen angeblicher Spionage im Gefängnis 1955 fast totgeschlagen und kurz darauf gestorben ist.“ Über Bekannte fand Annas Großmutter Arbeit in Moldawien. „Sie dachte, sie sei im Paradies: Hier lagen die Früchte auf der Erde, während man in Sibirien um jeden Apfel wie ein Tiger kämpfen musste.“ Gesungen wurde in ihrer Familie immer, die Großmutter liebte Volkslieder, die Mutter Kampflieder. „Ich sang schon, bevor ich richtig sprechen konnte. Meine Oma merkte, dass ich mit der Musik zusammen wachsen möchte und so schenkte sie mir das Klavier, auf dem ich täglich stundenlang übte.“

Mit Zwölf machte sie sich zwei Mal die Woche auf den langen Weg zur „Schule der Schönen Künste“ in die moldawische Hauptstadt Chisinau: eine Musikschule, die sie bestens auf das Musikkolleg vorbereitete. „Von da ab spielte sich mein Leben fast nur noch in diesem großen Haus ab: Es gab jetzt keine russischen Klassen mehr, im Kolleg wurde nur Rumänisch gesprochen. Es war die Zeit nach der Revolution und Moldawiens Wiedergeburt. Im ersten halben Jahr fühlte ich mich wie ein krankes Kind. Ich konnte nichts mitschreiben. Auch die musikalische Ausbildung war anfangs sehr sehr hart: Oft schrie mich die Lehrerin an, sie war aufbrausend und streng und brachte mich zum Weinen. Aber es war eine gute Ausbildung und zunehmend kam der Erfolg.“ Als ihre Freundin für die Klavier-Abschlussprüfung eine begleitende Sängerin suchte, übernahm das Anna. „Ich hatte die ganzen vier Jahre nie gesungen. Wir probten und die Tür war dabei geöffnet. Auf einmal stand eine kleine rundliche Frau im Raum und hörte zu. Wenig später hatte sie einen kleinen, ebenso runden Mann an ihrer Seite. Sie wirkten wie zwei Luftballons, total niedlich.“ Es waren zwei Musiklehrer und sie gaben ihr die Noten zur „Nachtigall“ von Aljabiew. „Ich sang mich über mehrere Wochen ein und nach drei Proben mit einem Sinfonieorchester hatte ich im Februar 2001 mein erstes Konzert.“

Alle sagten ihr: Du musst in Italien Gesang studieren. Aber sie wollte weiter beim Klavierspiel bleiben. Inzwischen war sie schon an der Musikhochschule immatrikuliert und hatte das Fach Klavier belegt. Ein zweites Fach, das Singen, hätte sie bezahlen müssen. „Meine Oma gab mir den Rat: Mach ein Au-Pair-Jahr und verdiene dir das Geld. Ich hatte schon immer nebenher gearbeitet: im Kindergarten, im Chor. Aber das Geld reichte nicht. Also ging ich nach Deutschland. Das war eine schwere Entscheidung, ich war nie vorher von Zuhause weg, wollte auch nicht im Studentenheim in Chisinau wohnen.“

Sie zog in eine kleine Stadt bei Köln und betreute vier Kinder. Dann kam ein Anruf, der sie total erschütterte. „Meine Oma erzählte mir, dass sie bereits 1990 einen Antrag auf Spätaussiedlung nach Deutschland gestellt hatte: aus Angst, es könnte in Moldawien wieder Deportationen geben, wie zu Zeiten Stalins. Jetzt sah sie die Gelegenheit zu gehen. Wenigstens am Ende ihres Lebens wollte sie ein klein wenig Luxus, warmes Wasser und ausreichend zu essen. Ich sollte ihr zur Seite stehen. Ich war ihr Pflegekind, fühlte mich in der Verantwortung.“

Nach dem Auffanglager in Friedland kam sie mit der Oma nach Dresden, besuchte einen Sprachkurs und lernte einen jungen Mann aus der Ukraine kennen: ihren Vitaly. Doch was ihr fehlte, waren nicht nur die Mutter und die Geschwister, sondern auch das Klavierspiel. „Nach drei Monaten bekam ich totale Panik. Ein bisschen konnte ich zwar auf der Orgel in der Hofkirche spielen, aber das war ein toter Klang.“ Sie ging zur Hochschule Carl Maria von Weber, aber auch dort hatte sie keine Chance zu üben. „Dann kam mir beim Tag der Offenen Tür die Idee, vorzusingen.“ Ihre „Nachtigall“ überzeugte eine Lehrerin, die ihr fortan Privatunterricht gab. Mit Klavierstunden, Babysitten und Putzen verdiente sie sich die Stunden. Mit der „Nachtigall“ schaffte sie auch die Aufnahmeprüfung und belegte ab 2002 Gesang und im Nebenfach Klavier. „Ich sang vor allem Messen, wollte aber auch die ,Königin der Nacht“ versuchen. Nach zwei Jahren wechselte ich die Lehrerin. Endlich fühlte ich mich verstanden: durfte auch Schubert und Strauss singen und an einem Wettbewerb teilnehmen“, bei dem sie ein Stipendium des Deutschen Musikrates gewann. „Ich kann dennoch nicht sagen, dass ich Sängerin bin. Noch ist es ein Experiment.“ Die Königin der Nacht ist sie inzwischen gewesen. Eine sehr junge, als Vertretung für eine erkrankte Kollegin. „Es war toll.“ Und auch andere Frauenpartien schweben ihr vor, wie die Sophie aus dem „Rosenkavalier“ oder die Konstanze aus der „Entführung aus dem Serail“. Rollen mit großem Herz und Sinn für Romantik. So wie Anna.

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