Kultur: Der Zeit entrückt
Monika Schulz-Fieguth nähert sich dem Grenzland Kurische Nehrung und damit ihren Wurzeln
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Ist hier jemand Zuhause? Die beiden Katzen vor der Haustür sprechen dafür. Sie sitzen eingekuschelt in friedlicher Warteposition und hoffen, dass sich die weiße Emailleschüssel bald wieder füllen möge. Auch der an die Wand gelehnte Schneeschieber deutet vor den verharschten winterlichen Resten auf Leben. Doch kann wirklich jemand in diesem halb zerfallenen Gemäuer, dessen grauer Putz schrundig abblättert, wohnen? Das ganze Haus scheint Trauerflor zu tragen. Nur das Graublau der Tür und der verhangenen Fenster bringt etwas Farbe in die Düsternis.
Das eindrucksvolle Porträt dieses Hauses schreckt ab und zieht zugleich den Blick immer wieder auf sich. Es wirkt wie Malerei, die plastisch die morbide Melancholie herausschält.
Die Potsdamer Fotografin Monika Schulz-Fieguth dringt mit ihren Bildern vom Grenzland Kurische Nehrung, die noch bis Ende Mai in der Urania zu sehen sind, in diesen halb russischen, halb litauischen Landstrich mit empfindsamer Tiefe ein. Auch wenn Gefühle der Hoffnungslosigkeit und des Vergessenseins suggeriert werden, gibt es doch immer wieder auch Momente leiser Heiterkeit. Wie die menschenleere Waldlichtung, in der man es förmlich pfeifen und zirpen hört. Gleich könnten junge Mädchen um die Ecke biegen, um fröhlich singend einen Korb Blaubeeren zu pflücken. Die Fotografin lässt mit ihren weich gezeichneten Bildern kleine Filme ablaufen. Was wird der ausladende, alte Apfelbaum mit seinen unzähligen goldenen Früchten schon alles gesehen haben? Der vor ihm auf dem Feld abgestellte Leiterwagen wird sicher bald die Ernte einfahren, falls er auf seine alten Tagen dazu noch in der Lage ist. Auch ohne dass Menschen zu sehen sind, erzählen diese Fotografien viel Menschliches. Auf Fineart Printpapier abgezogen und ohne Verglasung rücken die Impressionen hautnah heran: Mal in konzentrierter Dichte, dann wieder der Weite dieser Wald- und Seenlandschaft leise folgend.
Ans Wasser entführen die sechs Winterbilder, die für einen Moment an die stimmungsvollen Pastelle von Alfred Schmidt erinnern. Entrückte, einsame Strände. Doch ein Boot, eine Bank oder ein Papierkorb lassen daran erinnern, dass das Leben nur mal eine Pause macht.
Wer sind die Menschen, die hier zu Hause sind und zu denen einstmals auch der Vater der Fotografin gehörte. Inmitten der historischen Umbrüche diente er in drei Armeen, in der litauischen, der russischen und schließlich in der deutschen. 50 Jahre später machte er sich mit seiner Tochter Monika noch einmal zurück auf den Weg. „Er war erschüttert, ich fasziniert“, schreibt die Fotografin. Fortan reist sie seit 1995 zu jeder Jahreszeit – per Schiff, Bahn, Flugzeug, Auto oder pedes – in diesen Landstrich, der über die Jahrhunderte immer wieder Ortschaften unter sich begraben hat. Um ihre Bilder zu finden. „Landschaften voller Melancholie, Härte und verblüffender Zeitlosigkeit. Vor allem die Alten vermitteln mir die Verbundenheit zu ihrer Landschaft und ihrer Geschichte. Ihre Ruhe, seelische Kraft und der Gleichmut, mit dem sie den Alltag leben, berührt mich sehr. Durch sie spüre ich besonders das Vorhandensein meiner eigenen Wurzeln.“ Und so sind es auch vom Leben tief gezeichnete Gesichter, auf die wir schauen. Fast immer sind sie allein: Allein vor dem Holzhaus mit dem hohen Tisch davor, auf dem die Frau mit dem roten Kopftuch gern ihre Prachtexemplare von Kartoffeln zur Schau stellt. Allein auch der bärtige Mann auf der Bank vor seinem Efeu bewachsenen Haus: Die Augen warm und doch so traurig. Man spürt die Einsamkeit, die vielleicht einzig im Wodka einen Verbündeten findet. Eine andere alte Frau mit Kopftuch und Filzstiefeln steht in einem leeren, die Füße wärmenden Karton in einer Markthalle. Wie lange wird sie schon mit dem feilgebotenen Häufchen Sachen in der Hand in dieser Versunkenheit verharren? Auf einem Stock gestützt steht sie wie angewurzelt, die nach unten gezogenen Mundwinkel tief eingekerbt, die Augen fast geschlossen. Das im Hintergrund verschwommen wahrnehmbare bunte Markttreiben scheint für sie wie ausgeblendet. Auch sie wirkt allein. Vielleicht aber warten ja die zwei Katzen auf sie.
Bis Ende des Monats zu sehen in der Urania, Gutenbergstraße 71-72.
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