
© Stefan Gloede
Kultur: Der zu Herzen gehende Gesang
Potsdamer Winteroper wartet mit „Orfeo ed Euridice“ von Gluck im Schlosstheater auf
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Der Ort der Trauer ist hier kein lieblicher Lorbeer- und Zypressenhain, wie der Komponist Christoph Willibald Gluck und sein Textdichter Ranieri de‘ Calzabigi es sich wünschten, sondern einer, der sich unserer mitteleuropäischen Kultur anpasst. Das Bühnenbild zur Oper „Orfeo ed Euridice“ im Schlosstheater im Neuen Palais zeigt zunächst eine düstere Trauerhalle. In ihr lässt der Sänger Orfeo seinem Schmerz über den Tod seiner Frau Euridice freien Lauf. Da mischen sich Wut über den Verlust mit Angst um die Zukunft. Am Sarge haben sich auch Freunde, Bekannte, Nachbarn eingefunden, alle im feinen Schwarz. Blumen schmücken den Sarg, ein Redner will die Verstorbene würdigen. Doch Orfeo verweigert sich jeglichen Trost-Ritualen. Die Gäste entfernen sich schließlich, unverstanden und beleidigt. Orfeos fast unbändiger Schmerz hat aber die Götterwelt berührt. Sie schickt Amor, den Liebesgott, geflügelt und im weißen Anzug. Der entpuppt sich schnell als Lenker des künftigen Geschehens. Er weist dem Sänger den Weg, wie er Euridice aus den Fängen der Unterwelt wieder ans Licht bringen könne.
Mit dem für den Wiener Hof komponierten „Orfeo ed Euridice“ haben Gluck und Calzabigi 1762 die Oper des Barock reformiert. Mit einem bekannten mythologischen Stoff, wenigen Bühnenfiguren, einer geradlinigen Handlung haben die Autoren ein Gesamtkunstwerk geschaffen, das in der bruchlosen Verbindung von Musik, dramatischem Spiel und Tanz einzigartig in der Geschichte der Oper ist. Künstlichkeit wird durch Einfachheit ersetzt, komplizierte und virtuose Koloraturen durch zu Herzen gehende Melodien.
Die Kammerakademie Potsdam und das Hans Otto Theater haben im Rahmen der Potsdamer Winteroper Glucks Oper auf die Bühne des Neuen Palais gebracht, bevor das Theater ab kommenden Sommer wegen Sanierungsarbeiten geschlossen bleibt. Für 2013 haben sich die Veranstalter der Winteroper entschlossen, in der Friedenskirche Sanssouci Händels szenisches Oratorium „Jephta“ aufzuführen. In Sachen „Orfeo ed Euridice“ kooperierten die Potsdamer mit dem Staatstheater Cottbus. Generalintendant Martin Schüler konnte gemeinsam mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Gundula Martin für die Inszenierungsarbeit, die am Freitag Premiere feierte, gewonnen werden. Mit dabei auch der Cottbuser Theaterchor (Einstudierung: Christian Möbius), der in dieser Gluck-Oper ein entscheidendes Wort zu singen hat. Klangvoll, doch mit ein paar unschönen Vibrato-Passagen, wusste er seine umfangreichen und vielseitigen Aufgaben bestens zu bewältigen.
Der Orfeo-Stoff ist hoch komplex, wobei es die inneren und nicht die äußeren Umstände sind, die der Komplexität geschuldet sind. Aus diesem Grund wohl hält Gundula Martin das schwarze und graue Bühnenbild schlicht, mit nur wenigen Zutaten. Dafür wurden die Kostüme umso kostbarer gestaltet. Martin Schüler führt den Orfeo durch eine fast quälende psychologische Odyssee. Von dem Spielmeister Amor begleitet, macht Orfeo sich auf den Weg in die Unterwelt. Die Dämonen weisen ihn ab, die seligen Geister sind dagegen freundliche Wegweiser, die den Gesang des Künstlers genießen. Schüler lässt sie mit zumeist stereotypen Bewegungen agieren, die mit der Zeit Langeweile verursachen. Albtraumhaft sieht der Sänger Euridice noch einmal tot in einer Badewanne liegen. Schüler und Martin benutzen hierfür ein Zitat aus dem Gemälde des französischen Revolutionsmalers Jacques-Louis David „Der Tod des Marat“, ein Bild, das als Stich in zehntausendfacher Auflage zu Glucks Zeiten weit verbreitet war.
Von seinem Trauergesang vermag Orfeo die Götter dermaßen zu bewegen, dass sie dem Sänger gestatten, Euridice wieder zurück ins Leben zu führen. Der Weg zurück ist eine Prüfung und an eine Bedingung gebunden: Orfeo darf sich nicht umsehen, er muss den Klagen der Euridice über sein unverständliches Verhalten standhalten. Das ist dem Scheitern geweiht, trotz der noch so herzzerreißend schön besungenen Not. Doch zum Schluss kommt das barocke Theater ins Spiel. Amor und seine Begleiter, die sich in Rokokokostümen ausstaffierten, treten als „Deus ex machina“ auf und verordnen Orfeo und Euridice ein Happyend. Doch beide widersetzen sich derlei Anmaßungen der Götter. Die Liebe zwischen dem Paar scheint ein Ende gefunden zu haben.
Das italienisch singende Solistenensemble wird von der Drei-Damen-Riege Maria Gortsevskaya als Orfeo, Isa-Katharina Gericke als Euridice sowie Evmorfia Metaxaki als Amor bestritten. Dabei dominiert die aus St. Petersburg stammende Mezzosopranistin Maria Gortsevskaya, die an vielen großen Opernhäusern Europas gastiert, als wunderbare Ausdrucks-Sängerin ungemein intensiv in ihrem Leiden, Hoffen und Verzweifeln. Das geht unter die Haut. Etwas hart klingt der Sopran von Isa-Katharina Gericke, aber in ihrer kratzigen Euridice-Interpretation der richtige Ton. Ohne buffoneske Spielchen, sondern als ernst zu nehmender und antreibender Spielmeister Amor darf Efmorfia Metaxaki sich über die Bühne bewegen. Doch leider hält Gluck für die Partie wie für Euridice wenig sängerische Aufgaben bereit.
Nachdem die Ouvertüre etwas knallig geriet, belebte die Kammerakademie unter der Leitung von Antonello Manacorda die Partitur der Wiener (Original-)Fassung mit einem belebten, zielgerichteten Spiel, expressiv und reibungsreich, wenn es um die schnarrende Ablehnung geht, die Orfeo in der Unterwelt entgegenknurrt, lyrisch und liebliche Seligkeit versprühend, wenn es um hoffnungsvolle Zukunftsgedanken geht.
Die Aufführung mit ihrer soliden, geradeaus erzählten Inszenierung und dem Klangbild von emotionaler musikalischer Ausstrahlung wurde vom Premierenpublikum am vergangenen Freitag bejubelt. Einziges Ärgernis war die Pause nach dem zweiten Akt. Bei einer nicht einmal zweistündigen Inszenierung ist eine solche erzwungene Unterbrechung nicht belebend, sondern nur störend.
Die weiteren Aufführungen im Schlosstheater sind ausverkauft. Am 16. Februar und 7. März ist „Orfeo ed Euridice“ jeweils um 19.30 Uhr im Staatstheater Cottbus zu erleben. Weitere Informationen unter www.staatstheater-cottbus.de
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