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Kultur: Der Zwang der Verhältnisse

Michael Erbach liest aus seiner Erzählung „Jonas“

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Es ist nicht viel, was Jonas will. Eine Glosse schreiben, einen kurzen, pointierten Meinungsbeitrag, wie es in der Definition von Journalistikhandbüchern heißt. Mehr erwartet er nicht von diesem kleinen, namenlosen Ort, wo er in einem kleinen Betrieb ein Praktikum bei der Betriebszeitung „Der Pumpenwerker“ mehr absitzt, als dass er dabei wirklich etwas tut, etwas lernt für seine Zukunft als Journalist. Handwerkliches lernt! Denn Jonas lernt sehr wohl sehr viel in seinen Wochen beim „Pumpenwerker“. Aber was er hier lernt, erkennt, begreifen muss, ist eher ernüchternd für einen jungen und idealistischen Mann wie ihn. In der Person seines Vorgesetzten, dem verantwortlichen Betriebszeitungsredakteur Bernhard Verwohrn, sieht Jonas jeden Tag, was Journalismus in der DDR bedeutet. Keine kritische Schreibe, sondern Anpassung bis zur Selbstverleumdung. Ein Zwang, der Jonas förmlich zerreißen will. Denn so sehr er diesen dickleibigen und so opportunistischen Bernhard Verwohrn auch verachtet, ja regelrecht hasst, erkennt er doch in ihm auch seine eigene Zukunft. So sieht er sich selbst als Journalisten, der brav und ergeben lächelnd zu den Flötentönen der Parteibonzen tanzt.

„Jonas“ heißt die Erzählung, die vom Ringen und Selbstzweifeln und stillem Kapitulieren eines Journalistikstudenten in der DDR handelt. Geschrieben hat sie Michael Erbach, Chefredakteur dieser Zeitung, in den Jahren 1988 und 89. Im Februar 1990 wurde „Jonas“ mit dem Hans-Marchwitza-Literaturpreis ausgezeichnet, einem Literaturpreis für Nachwuchsautoren, der an Michael Erbach zum Ende der DDR hin zum letzten Mal vergeben wurde. Dann verschwand seine Erzählung in der Schreibtischschublade. Im 20. Jahr des Mauerfalls hat Michael Erbach seine Erzählung wieder hervorgeholt und wird am morgigen Freitag im Café Barock in Caputh daraus lesen.

Nun könnte „Jonas“ als schriftstellerische Jugendsünde bezeichnet werden, die zum Mauerfalljubiläumsjahr ruhig mal vorgelesen und dann wieder in den Tiefen der Schublade verschwinden soll. Doch das Grundproblem, das Michael Erbach in „Jonas“ anspricht, dieser unüberbrückbare Zwiespalt zwischen persönlichen Ansprüchen, dem Rütteln und Zerren an verkrusteten Zuständen in der Gesellschaft, diese Endlich-etwas-ändern-wollen-Einstellung und dann schließlich die Erkenntnis, dass sich dies alles mit der Zeit durch Anpassung und Zugeständnissen abreibt, bis man selbst ein brav mitlaufendes Rädchen im großen Getriebe ist, dieser Zwiespalt prägt jede Gesellschaft. Und so liest man „Jonas“ schon nach wenigen Seiten nicht mehr nur als eine Kurzgeschichte aus längst vergangenen Zeiten, die einem mit Worten wie „FDJ-Sekretär“, „Parteigruppe“ oder „sozialistischer Wettbewerb“ lediglich leicht unangenehme Erinnerungsschauer über den Rücken jagt. Mit Jonas tritt einem ein Jedermann gegenüber, der an keine Zeit und keine Gesellschaft gebunden ist. Dieser Jonas hält einem einen Spiegel vor, in den man schaut und erkennen muss, was aus den eigenen Idealen und Ansprüchen geworden ist. Dirk Becker

Michael Erbach liest am morgigen Freitag, 19 Uhr, im Café Barock in Caputh, Straße der Einheit 4, aus seiner Erzählung „Jonas“. Nach der Lesung ist ein Gespräch mit dem Autor geplant. Der Eintritt kostet 8 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: 01577 53 909 68

Dirk Becker

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