Kultur: Des Zeuxis postmoderne Tochter
Aquarelle und Radierungen von Elisabeth Stömer-Hemmelgarn in der Galerie Burstert, Albrecht
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Aquarelle und Radierungen von Elisabeth Stömer-Hemmelgarn in der Galerie Burstert, Albrecht Ein Korb mit Trauben und dazu Vögel, die an ihnen picken. Nichts Besonderes, wenn nicht die Vögel Realität, die Trauben aber nur gemalt wären. Die Szene ist mehr als 2000 Jahre alt und anekdotisch vom griechisch-antiken Maler Zeuxis überliefert. Mit dem Bild wähnte er sich als Sieger in einem Wettstreit, seien die gemalten Trauben doch so gut wie die Wirklichkeit. Bis weit in die Neuzeit haben sich Lebensnähe und Wirklichkeitstreue als Gradmesser künstlerischer Qualität erhalten. Jubiliert doch noch Tamino in Mozarts Zauberflöte hingerissen: „Dies Bildnis ist bezaubernd schön“. Unter diesem Blickwinkel könnte man die 1942 in Bremen geborene Elisabeth Störmer-Hemmelgarn eine antike Malerin nennen. Oder sollte man ihre aktuell in der Galerie Burstert, Albrecht ausgestellten Aquarelle und Radierungen doch eher dem zeitgenössischen Foto-Realismus zurechnen? Eben jener seit den 60er Jahren von Amerika ausgehenden, fotografisch reproduzierenden Kunst, die sich gegen Pop und Concept Art wandte? Die Arbeiten der in Berlin lebenden Malerin scheinen in ihrer Gegenständlichkeit, der naturalistischen Wiedergabe des Gesehenen und den banal erscheinenden Ansichten alltäglicher Situationen die charakteristischen Züge zu erfüllen. Doch andere Mitteln als die fotorealistischen Großmeister Chuck Close, Robert Rauschenberg und Gerhard Richter setzt Störmer-Hemmelgarn ein. Gibt sie auch wie die Foto-Realisten dem Betrachter die im Medienzeitalter nicht zu überschätzende Frage nach illusionistischer Abbildung der Wirklichkeit und ihrem Verhältnis zur eigenen Wahrnehmung auf. Bei ihr geschieht das in nachgerade romantischer Gestalt. Die kleinteilige Blätterflut des „Vino rosso am Brenner“nimmt den Blick erst uneingeschränkt gefangen. Doch zu den Bildrändern löst sich das leuchtende Weinlaub in bunte Farbflecken auf. So wandelt sich das konkret darstellende Aquarell übergangslos zu abstrakter Malerei. Trotz aller Leere sprechen die weißen Ränder überdeutlich: Das Bild ist nur ein Bild. Genaues Abbild oder nur gemalte Fiktion? Die ausgefeilte Technik des Weglassens geht bei Störmer-Hemmelgarn mit einem leicht ironischen, hintergründig fragenden Ansatz zusammen. „Anweisung nicht befolgt“ ist die Ansicht einer verlassenen, roten Scheune überschrieben. Im Aquarell fordert ein Schild auf der offenen Scheunentür, diese nach Gebrauch zu schließen. Doch nun gibt sie den Blick frei in den maroden Innenraum und regt mit den Hinterlassenschaften menschlichen Arbeitens zum Nachdenken über Vergangenes und Vergänglichkeit an. Doch nicht allein als zivilisatorische Vanitas-Bilder sind die häufig alte Häuser darstellenden, technisch perfektionierten Blätter zu lesen. Wo Leben war, wird Leben sein. Diese Lesart drängt sich auch bei der Ansicht einer alten Dachwohnung im Umbau auf, spätestens beim überdeutlich deutenden Titel „Neue Verkabelung für die Bodenkammer“. Doch hier wie bei anderen mittelformatigen Blättern, etwa der Ansicht eines rostenden, von Pflanzen bewucherten Autowracks, betitelt „Auf Abwegen“, wird man Störmer-Hemmelgarn nicht gerecht, will man nur eine gültige Lesart finden. Ist allen ihren Arbeiten doch gemeinsam, dass sie anhaltend und immer wieder neu zur unausweichlichen Auseinandersetzung auffordern – den Augen ein Ruhekissen, dem Hirn ein Stachel, gegen den schwer zu löcken ist. Warum ist kein Mensch in, sondern nur der Betrachter im spiegelnden Glas vor den Bildern zu erblicken? Sollte Störmer-Hemmelgarn – eine postmoderne Tochter des Zeuxis – an ihren all zu realistischen Bildern zweifeln? Es erginge ihr wie dem eingangs genannten Maler der Antike. Der hatte ein Kind mit einem Korb voller Trauben gemalt, ärgerte sich dann aber über das Bild, weil herbei fliegende Vögel zwar nach den Früchten pickten, sich vor dem Kind aber nicht fürchteten. Am 22. Mai wird Klaus Büstrin in der Galerie lesen und hat dazu mit glücklicher Hand Heinrich Heines „Harzreise“ ausgewählt. Deren schwärmerische Naturschilderungen, trockener Witz und bittere Zeitsatiren passen gut zu den leisen, aber stets vernehmbaren Spannungen, die den ausgestellten Bildern innewohnen. Zur Lesung will Norbert Albrecht mit ruhig-heiteren Klavierstücken von Robert Schumann den jeder Doppelbödigkeit baren Hintergrund schaffen. Lesung und Hausmusik in der Galerie Burstert,Albrecht am 22. Mai, 17 Uhr, Eintritt frei. Ausstellung bis 28. Mai, Charlottenstraße 24. Di-Sa 11-18 Uhr.
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