Kultur: Detektiv in Sachen Filmmusik
Detlev Glanert über die Arbeit an der Musik zu „Der letzte Mann“ / Heute Konzert
Stand:
Detlev Glanert über die Arbeit an der Musik zu „Der letzte Mann“ / Heute Konzert Von Klaus Büstrin Friedrich Wilhelm Murnaus von Mai bis September 1924 bei der Ufa in Babelsberg entstandener Stummfilm „Der letzte Mann“ erzählt von der Tragödie eines alten Mannes, der vom Portier eines großen Hotels zum Toilettenwart degradiert wird. Durch eine unerwartete Erbschaft wird aus dem letzten Mann des Hotels der erste Gast, dem man um seines Geldes willen nun mit Hochachtung begegnet. Unter Murnaus Regie spielen unter anderen Emil Jannings, Maly Delschaft und Max Hiller die Hauptrollen. Dem Film wird nachgesagt, dass er mit einer „entfesselten Kamera“ enstanden sei. Die Kamera steht nicht mehr unbeweglich auf ihrem Stativ, das Aufnahmegerät setzt erstmals Schwenks und Fahrten ein. Nach der Premiere am 23. Dezember 1924 im Berliner Ufa-Palast am Zoo schreibt der Kritiker Willy Haas bezüglich der technischen Neuerung: „Kinder, von hier und heut“ beginnt eine neue Epoche in der Geschichte der Kinematographie“. Die Musik, ohne die eine öffentliche Aufführung eines Stummfilms kaum möglich gewesen ist, wird jedoch nicht sonderlich hervorgehoben. Sie gehört einfach dazu. Der Komponist von „Der letzte Mann“ ist der Italiener Giuseppe Becce (1877-1973), der seit 1901 in Berlin lebte. Seine Musik wird heute in einem Filmlivekonzert im Nikoalisaal zum Abschluss des diesjährigen Potsdamer Filmsommers wieder erklingen. Mitveranstalter ist das Filmmuseum. Es spielt das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der Leitung von Helmut Imig. Der Berliner Komponist Detlev Glanert hat die Partitur Beccas rekonstruiert und instrumentiert. Detlev Glanert erzählt den PNN über den in unseren Tagen weithin unbekannten Komponisten: „Zunächst versucht Becce mit Opern und Operetten sein Glück, doch erfolglos. Erst beim Film kann er sich durchsetzen. Becce hat für mehr als 100 Stumm- und Tonfilme gearbeitet. 1913 wirkt er an seinem ersten Film, an einen über Richard Wagner. Ursprünglich sollte Originalmusik des Bayreuther Meisters erklingen, doch des Komponisten Gattin Cosima verweigerte die Aufführungsrechte. Und so erhielt Becce den Auftrag, die Musik für diesen Film zu komponieren.“ Auch für Leni Riefenstahls Streifen „Das blaue Licht“ hat er komponiert. Seine letzte Arbeit entstand 1972, ein Jahr vor seinem Tod. „Giuseppe Becca hat für Murnaus ,Der letzte Mann“ eine sehr emotionale Musik geschrieben, mit vielen Ausdrucksmöglichkeiten. Sie ergreift in sehr bewegenden Momenten Partei für den kleinen Mann, besonders wenn ich an die Hinterhofszenen denke“, erzählt der Berliner Komponist, der die Partitur im Auftrag von ZDF und ARTE wieder herstellte. Sie ging wie so viele Filmmusiken, die für eine mittlere Orchesterstärke komponiert wurde, im Zweiten Weltkrieg verloren, höchstwahrscheinlich verbrannte sie. „Zwei Partikel blieben lediglich erhalten, die Stimme der ersten Violine und der Klavierpart, die ebenfalls Lücken aufwiesen. Eine regelrechte Detektivarbeit begann. Becce hat neben eigenen Kompositionen, auch Musik seiner Kollegen benutzt, beispielsweise von Richard Strauss, Umberto Giordano aber auch Berliner Schlager und damalige Tanzmusik. So ist ein lockeres Pasticcio entstanden, oftmals auch aus Zeitgründen, den Becce war ja ein sehr gefragter Filmkomponist“, berichtet Detlev Glanert. Der Berliner hat Becces Musik ergänzt und instrumentiert. Eine Stunde Becce erklingt, die restlichen 30 Minuten sind von Glanert. „Der Zuhörer soll es nicht merken, dass es meine Musik ist. Da ich mich ganz intensiv mit Becce beschäftigen musste, seinen Stil studierte, konnte ich ihn, so glaube ich, relativ gut imitieren. Mich hat es auch sehr begeistert, mit welch äußerster Genauigkeit sich Becce in seiner Musik den Filmbildern nähert.“ Filmlivekonzert heute um 20 Uhr zum Abschluss des Potsdamer Filmsommers im Nikolaisaal mit „Der letzte Mann“. Es spielt das Deutsche Filmorchester Babelsberg. Eintrittskarten für 15 Euro (erm. 12 Euro an der Abendkasse.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: