Kultur: Deutsche Familiensaga
Leonie Ossowski stellte in Potsdam ihren Drei-Generationen-Roman „Espenlaub“ vor
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Leonie Ossowski stellte in Potsdam ihren Drei-Generationen-Roman „Espenlaub“ vor Von Marion Hartig Man glaubt es oft nicht, aber es gibt ihn, den Antisemitismus, der sich nicht nur in rechten Kreisen Bahn bricht. Es gibt ihn in kleinen Städten und in den Köpfen von Menschen, denen man ihn nicht ansieht. Das Thema ist noch lange nicht abgeschlossen, sagt die Autorin Leonie Ossowski, als sie am Mittwochabend im Rahmen der 12. Berlin-Brandenburgischen Buchwochen in der Stiftungsbuchhandlung ihren Drei-Generationen-Roman „Espenlaub“ vorstellt. In ihrer Geschichte ist es Opa Oskar, der immer wieder boshafte Verbalattacken auf imaginäre Juden abfeuert. Es ist sein vermeintlicher Enkel, Tierarzt Lorenz, der mit den oft gehörten Beschimpfungen um sich wirft und es sind Bürger der Stadt Worms, die mehr oder weniger offensichtlich ihre Ablehnung zeigen. Die mit dem Adolf-Grimme- und dem Schillerpreis der Stadt Mannheim ausgezeichnete Schriftstellerin aus Berlin greift in ihrem neuen Roman wieder einmal kein leichtes sozialpolitisches Thema auf. Leonie Ossowski, die über die Vertreibung aus Schlesien und das „Dritte Reich“ schrieb, befasst sich in ihrem neuen Werk mit verstecktem Antisemitismus in Kleinstädten. Und mit Familentabus, verschwiegenen Tragödien, die sich fortsetzen, wenn sie nicht aufgeklärt werden. Der Kern ihrer Geschichte ist wahr, sagt sie. Jemand hat sie ihr erzählt. Das Buch beginnt mit Ariel, dem jüdischen Marionettenbauer, in den sich Billi, die eigentlich Lorenz heiraten will, verliebt. Plötzlich taucht er in der Kleinstadt Worms auf und bringt das wackelige Fundament der Familiengeschichte zum Einsturz. Leonie Ossowski erzählt mit reizvollen Spannungsbögen. Sie spielt mit ihren Figuren, wie Ariel mit seinen Marionetten. Verbindet dabei realistische mit fantastischen Momenten: Plötzlich taucht Ariel in der Tür auf, als sich Billi und Lorenz in einer Kneipe aussprechen. Plötzlich sieht Billi Oma Mia über den Dachfirst des Doms fliegen. Plötzlich bekommt das Pferd Koliken, als Lorenz ziellos vor Eifersucht durch die Nacht fährt. Die Autorin reißt den Leser, die Zuhörer mit, ohne Zweifel. Allerdings auf Kosten einer konstruierten Künstlichkeit, die zu wenig realitätsfern ist, um die Geschichte auf ein fantastisches Niveau zu heben, und zu realitätsfern wirkt, um plausibel zu sein – und es bleiben Fragen. Woher nimmt die schüchterne Billi, die wie ein Kind davon läuft, als sie Ariel beim Puppenspiel entdeckt, den Mut, die Mutter von Lorenz ganz nebenbei beim Kaffeetrinken nach dem Tabu in der Familie zu fragen. Warum reagiert ein junger Tierarzt, der sich zumindest in seiner Schulzeit intensiv mit der deutschen Geschichte befasst haben dürfte, nicht auf die antisemitischen Ausbrüche seines Großvaters. Was fühlt die so unsympathisch dargestellte Oma, die Leonie Ossowski in der Lesung als Frau ihrer Generation beschreibt? Hinzu kommt die etwas behäbige Schreibweise, Sätze, wie „Er genierte sich“ oder „Er wollte in die Fußstapfen der Altvorderen treten“, an die sich zumindest jüngere Leser gewöhnen müssen. Wie an die zahlreichen Metaphern, die gar nicht nötig wären, um Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Bei der Lesung fällt diese Kritik kaum ins Gewicht. Die Autorin hat ihre Episoden gut ausgewählt, sie erklärt, wo sie auf Unverständnis trifft. Und auch wenn Sprache und Stil nicht jeden Geschmack treffen dürften: Leonie Ossowski hat eine engagierte Familiensaga geschrieben – sie zu lesen, lohnt sich.
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