Kultur: Deutsche Traumfiguren
Prof. Eberhard Lämmert hielt Vortrag im Einstein-Forum: „Künstlerstaat und Staatskünstler“
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Prof. Eberhard Lämmert hielt Vortrag im Einstein-Forum: „Künstlerstaat und Staatskünstler“ Nach dem angemessenen „Cum Tempora“ im überfüllten Veranstaltungsraum des Einstein-Forum am Neuen Markt – die Vorstellung der Vorstellung: Die Direktorin des Hauses, Susan Nyman, stellt den Gesprächsleiter des Vortragabends „Künstlerstaat und Staatskünstler - deutsche Traumfiguren zwischen Ästhetik und Politik“, den Literaturwissenschaftler und ehemaligen Präsidenten der Freien Universität Berlin, Professor Eberhard Lämmert, vor. Lämmert beschreibt die Vita des Referenten Ulrich Raulffs zwischen publizistischer Tätigkeit bei der Süddeutschen Zeitung und Lehramt an der Humboldt-Universität im Fach Kulturwissenschaften. Durch Raulffs Untersuchungen der Bilder und Symbole, seiner Erkundungen der Zeichen des kulturellen Gedächtnisses, habe er eine Brücke zwischen Künstlertum und Herrschertum installiert. Eine traditionsreiche Brücke wie Raulffs beschreibt: Von der Antike bis zur Moderne. Von Platon („Politeia“ - „Der Staat“) zu Stefan George („Das neue Reich“). Raulffs dekonstruktivistischer Blick beschreibt das komplizierte Wechselspiel zwischen der Ästhetisierung der Macht und der Machtästhetik. Die Wurzel der Gleichsetzung von Künstlertum und Herrschertum seien bereits bei Sueton zu suchen, der als Geheimsekretär Hadrians die „De vita Caesarum“ - Kaiserbiographien von Caesar bis Domitian - und Dichterbiographien zugleich schrieb. Die Figur der „Dichterkrönung“ verweise von Dantes „Göttlicher Komödie“ über die Tradition der provenzalischen Troubadoure zu den Herrscherhäusern der Renaissance, die die wichtigsten kulturellen Zentren in ihrer Zeit waren. Bereits seit Francesco Petrarca („De vita Solitaria“) sei die „Dichterkrönung“ (1341) eine bekannte Metapher, die durch die „Dichterkrönung“ Torquato Tassos (1595) in der Literatur Goethes und Lord Byrons Eingang gefunden habe. Absichtsvoll. Denn auch in Weimar verdichten sich Metaphern wie „Dichterrepublik“ und „Dichterfürst“ und führen in direkter Linie zur späteren Verehrung und Huldigung Bismarcks. Jacob Burckhardt habe auf die Apologetik der Gewalt bereits bei Niccolo Machiavelli („Dell’arte della guerra“) verwiesen. Durch die Zusammenschreibung von Gewalt, List, Tücke, Eleganz und Großartigkeit wäre das Phänomen zu erklären, dass alle Kaltblütigkeiten und Ruchlosigkeiten der Herrschenden im kulturellen Gedächtnis vor den bürgerlichen Sittengesetzen eine Dispensierung erführen. Ernst Kantorowicz beschreibt für die Manifestierung des Verhältnisses von Ästhetik und Politik während der Herrschaft Kaiser Friedrichs II. eine umgekehrte Bewegungsrichtung: vom politischen Handeln zur Dichtung, beeinflusst durch den dichtenden Hofstaat. Schreibkunst wäre hier zur Herrschaftskunst geworden. Alle Denklinien des Referenten führen zu Stefan George. Der Königswunsch des Dichters und der Dichterwunsch der Könige verdichteten sich in George selbst. Stefan George beabsichtigte, entsprechend seiner „poesie pure“, die Reinheit der absoluten Figur, in der Kunst und Macht zusammenschmilzt (Max Kommerell). Der Topos „Reich“ („Das neue Reich") verweise auf den eschatologischen Erwartungscharakter der literarischen Konstruktion. Stefan George scheiterte mit seinem Wunsch, die Metapher zerbricht, als sich die totalitären Machtregime der Kunst bedienen und bemächtigen. Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
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