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Es ist soweit! Am heutigen Donnerstag starten die Musiker der Kammerakademie Potsdam mit ihrem Chefdirigenten Antonello Manacorda ihren viertägigen Beethovenmarathon.

©  Stefan Gloede

Kultur: „Die 9. Sinfonie ist komponierte Philosophie“

Am heutigen Donnerstag beginnt die Kammerakademie Potsdam ihren Beethovenmarathon, an dessen Ende die 9. Sinfonie steht

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„Alle neun Sinfonien an vier Tagen“ heißt es ab heutigen Donnerstag bei der Kammerakademie Potsdam. Ein Konzertmarathon mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven, wie ihn das Orchester noch nie bestritten hat. In den vergangenen Wochen haben die PNN mit regelmäßigen Beiträgen über die Sinfonien 1 bis 8 auf dieses Konzerterlebnis eingestimmt. Zum Abschluss geht es heute um Beethovens 9. Sinfonie.

Manche hatten Beethoven längst abgeschrieben. So war 1821 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung zu lesen: „Beethoven beschäftigt sich, wie einst Haydn, mit Motiven schottischer Lieder; für größere Arbeiten scheint er gänzlich abgestumpft zu seyn.“ Beethoven hatte sich zurückgezogen, war aufgerieben von Krankheit und familiären Streitigkeiten. Und auch der an den politischen Entwicklungen seiner Zeit so interessierte Komponist war desillusioniert. Hatte sich doch seine durch die Aufklärung und die Französische Revolution bestärkte Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen durch den Wiener Kongress zerschlagen. Diese inneren Erschütterungen wurden auch immer stärker sichtbar, denn Beethoven ließ sich gehen, wirkte verwahrlost und heruntergekommen. So wurde er an einem Abend in der Wiener Neustadt von der Polizei für einen Landstreicher gehalten und verhaftet. Doch alle diese widrigen Umstände konnten nicht verhindern, dass es im Kopf von Beethoven stark arbeitete. „Seit einiger Zeit bring’ ich mich nicht mehr leicht zum Schreiben. Ich sitze und sinne und sinne; ich habs lange: aber es will nicht aufs Papier. Es grauet mir vor’m Anfange so großer Werke. Bin ich drin: Da geht’s wohl“, hatte Beethoven dem Musikkritiker Friedrich Rochlitz gesagt.

Nun wird Beethoven mit den großen Werken weniger die Bedeutung seiner zukünftigen Komposition gemeint haben, sondern profan die damit verbundene Arbeit, Stimmen für zahlreiche Instrumente zu schreiben. Doch was er in den nächsten Jahren niederschrieb und immer wieder überarbeitete, bis es endlich am 7. Mai 1824, knapp drei Jahre vor seinem Tod, im Wiener Hoftheater uraufgeführt wurde, das wurde wahrlich ein großes Werk.

„Die 9. Sinfonie ist komponierte Philosophie“, sagt Tobias Lampelzammer, Kontrabassist der Kammerakademie Potsdam. „Dieser Ausbruch ins Utopische quasi, also in die bessere Welt. Beethoven hat hier versucht, eine neue Tür aufzustoßen. Vor allem mit dem Schlusssatz, der ins Maßlose geht und besetzungstechnisch zum ersten Mal einen riesigen Chor und Singstimmen dabei hat. Er wollte die Extreme ausloten. Und ich glaube, es ist wirklich so eine Art Versuch, eine Utopie in Töne zu fassen. Für mein Empfinden hat Beethoven hier zum ersten Mal in der Musikgeschichte etwas komponiert, was an die Grenzen des Machbaren geht.“

Es ist pure Überwältigung, die Beethoven mit seiner 9. Sinfonie in Töne gesetzt hat und in der zum ersten Mal überhaupt in einer Sinfonie die menschliche Stimme zu erleben ist. Ausgewählte Strophen aus Schillers „Ode an die Freude“ hat Beethoven hierfür ausgewählt, um so auch ganz klar eine Botschaft zu vermitteln, wenn es heißt: „Alle Menschen werden Brüder“ und „Seid umschlungen, Millionen!“

Beethoven, der trotz seiner Taubheit die Uraufführung der 9. dirigierte, erlebte wohl den größten Triumph seiner Karriere. Schon nach dem zweiten Satz brach heftiger Applaus los, den Beethoven, weil er mit dem Rücken zum Publikum stand, erst gar nicht wahrnahm. Nach dem Finale wurde der Komponist frenetisch gefeiert. Doch der soll den Applaus nur stoisch entgegengenommen haben, hatte er doch kein besonderes Verhältnis zu dem Wiener Publikum. Als „Phäaken“, als „träges, vergnügungssüchtiges Volk“ hatte er die Wiener einst beschimpft.

Beethovens 9. Sinfonie löst durch ihre Überwältigung wohl in jedem Hörer etwas aus. Es ist, als würde der Komponist hier etwas Großes, nur schwer zu Begreifendes, nur schwer zu Durchschauendes entwerfen. Es ist die Utopie von einer Einheit, von Fortschritt und Verständigung, von Mensch und Gemeinschaft. Es scheint, als wäre Beethoven nun endlich klar geworden, dass all die Idealvorstellungen einer besseren Welt, einer besseren Gesellschaft, dieser Wunsch nach Harmonie allein in der Musik zu erleben sind. Die vier Sätze seiner 9. Sinfonie sind wohl der überzeugendste Beweis, dass Ludwig van Beethoven damit recht hatte.

Die Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Antonello Manacorda spielt vom 13. bis 16. Februar alle neun Sinfonien von Beethoven im Nikolaisaal in der Wilhelm-Staab-Straße 10/11. Informationen unter www.kammerakademie-potsdam.de

Dirk Becker

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