zum Hauptinhalt

Kultur: Die ächzende Last des Exzentrikers

Auf den Tag genau 25 Jahre war er am Mittwoch tot – und für viele noch heute ein Idol: Klaus Kinski, Schauspieler, Ausnahmekünstler, Choleriker. Aber immerhin hat er für seine Zeit eine Schneise hinterlassen, die kaum wieder zuwachsen wird.

Stand:

Auf den Tag genau 25 Jahre war er am Mittwoch tot – und für viele noch heute ein Idol: Klaus Kinski, Schauspieler, Ausnahmekünstler, Choleriker. Aber immerhin hat er für seine Zeit eine Schneise hinterlassen, die kaum wieder zuwachsen wird. Schon zu Lebzeiten wurde Kinski als größter Schauspieler der Welt gehandelt, größeren Aufruhr verursachten jedoch seine Wutausbrüche – und seine Suizidversuche. Ein Enfant terrible, schwierig bis heute. Der Babelsberger Künstler Fredo Folcini widmet Kinski sogar eine Ausstellung, die am Mittwochabend im Kunsthaus Sans Titre in der Französischen Straße eröffnet wurde. Kinski überall: mal in der Mitte der Bilder, mal verzerrt, mal gut erkennbar. Und vor allem: akustisch vernehmbar. „Du dumme Sau!“, keift Kinski aus dem Off, als ob die Bilder ohne den Soundtrack des Cholerikers von den Wänden fallen müssten, der Kamin knistert dazu leise, die Besucher flanieren mit einem gepflegten Glas Rotwein durch die untere Etage des Kunsthauses. In der Mitte des Raumes ein Gerüst, das früher eine Hollywood-Schaukel war, mittendrin ein Stuhl, Folcini wird später auf ihm Platz nehmen, „Der Blick ins Leere“ nennt er die Installation. Konnte Kinski ja auch schon sehr gut, diesen Blick.

Dabei sind Folcinis Bilder zumindest spannungsgeladen, wenn auch nicht so explosiv wie der Charakter des Subjektes. Klecksige Bilder, verwischt und rotbefleckt – wie unter blutigem Regen – Kinskis prägnante Visage auf weißer Leinwand. Dann wieder Kinski unter dicker Farbe, die Leinwand ächzt und rollt sich vor Last, dann ein großformatiges Bild, Kinski in der Mitte angedeutet, eingerahmt von Schwarz und Gelb, symbiotische Farben des Fegefeuers. Klar, Folcini ist kein Freund filigraner Pinselstriche, wie weiland Pollock spritzt und kotzt er die Farben auf den Untergrund. „Arschloch!“, bellt es unterdessen aus den Lautsprechern. „Leck mich doch am Arsch!“

Doch Folcini sieht zufrieden aus, als er sich in die Mitte des Raumes pflanzt, das rechte Bein entspannt überm linken Knie, auf den Stuhl, der vom Gerippe der Schaukel umgeben wird. „Ich sehe Kinski immer noch als Idol, als das größte Genie“, sagt er. „Der hat uns vertreten auf der ganzen Welt.“ Uns? Nun ja. Zeit für ein Gedicht: Niemand zählt mit, wie oft das Wort „Eiter“ fällt, in der postexpressionistischen Zeit der konservativen Wirtschaftswunderjahre mag das revolutionär gewesen sein, heute wirken die fäkalen Assoziationen über Körper und Christus überholt peinlich: „Der Tod furzt dich müde an“, rezitiert Folcini mit Inbrunst. Einige der Besucher schließen schwelgend die Augen: Den eigenen Kindern hätte man dafür den Hosenboden strammgezogen.

Und vielleicht verläuft auch hier eine Altersgrenze: Diese obsoleten Kinski-Provokationen schaffen es einfach nicht mehr, für die Furore zu sorgen, die ihm damals gewiss war. Dafür kann Folcini freilich nichts, aber als Sujet wirkt Kinski eben heute ermüdender als ein zweitklassiges Hip-Hop-Konzert. Überhaupt hat diese Idolisierung des Exzentrikers zu Recht Risse abbekommen, die auch die Kunst nicht mehr zu kitten vermag: Seine erste Tochter Pola erhob in ihrer 2013 erschienenen Biografie „Kindermund“ schwere Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen ihren Vater, überhaupt war das Inzestuöse stets klebriger Teil des Duktus von Kinski. Zuzutrauen war ihm alles. Das klebt natürlich – und kann auch nicht mit kiloweise Acryl übertüncht werden. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })