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Aus der Ausstellung hinter dem Konzert: Free-Jazz-Szene in der DDR

© M. Creutziger

Kultur: Die alten Jazzer haben genug gesponnen

Melvin Poore, Matthias Bauer und Sven-Åke Johansson fehlte beim Konzert im Kutschstall die letzte Wildheit

Stand:

Musikalische Improvisationen verweigern jedes Fixum: Alles ist vorläufig, provisorisch, spontan. Anfang und Ende, die Läufe und ihre Pausen, das Frage- und Antwortspiel der Instrumente und Stimmen, Tonalität und Chromatik – alles. Indem sie stets den Augenblick erhaschen, gleichen sie der Lebenskunst, die Reglementierung nicht mag. Ein Stück innerer Freiheit also.

Dies war vermutlich der Grund, warum das Haus der Brandenburgisch Preußischen Geschichte eine Ausstellung zum Thema „Freejazz in der DDR“ machte, und ins Begleitprogramm prominente Köpfe deser Kunst zum Konzert einlud. Am Freitagabend erlebte eine kleine Schar von Freiheitssuchern, wie Melvin Poore (Tuba), Matthias Bauer (Kontrabass) und der Altmeister von Drum und Musikperformance, Sven-Åke Johansson, diesen Auftrag im Kutschstall verstanden.

Nicht umsonst war der gebürtige Schwede zwischen Bass und Tuba positioniert, wo Floor Tom und Bass Drum, Snare Drum sowie ein großes Stück fester Pappe auf seine Ideen warteten. Vorgesehen war zunächst nur ein Stück, der Rest sollte Zugabe sein, aber bei einer Generalpause klatschte das Publikum ganz spontan, und so wurde aus einem Teil eben zwei.

Es begann ganz ruhig, die Tuba übte sich in den Grenzbereichen zwischen Sphäre und Unterwelt, auf das Schlagwerk wurde aber gar nicht getrommelt oder geschlagen, nur gerührt und gekratzt, dann nahm der Perkussionist Plastikschalen, um Schüsse oder Schritte auf seinem Instrumentarium zu imitieren, später ersetzten weiße und schwarze Tücher Besen und Schlegel.

Es waren zwar recht lange und manchmal einfallsarme Passagen, doch gaben sie wenigstens einen Grundrhythmus in betont gemütlicher Gangart vor. Die Pappe diente als Zusatz-Drum, Percussion und Tuba schienen es in den kontrapunktischen Phasen mehr mit den Geräuschen zu halten, der superfleißige Kontrabass eher mit melodischen Passagen. Hübsch war jene Stelle, wo er ein klassisch-schönes Motiv als Ostinato spielte, während der Drummer mit einem Geigenbogen auf einem alten Postpaket herumkratzte. Das nennt man Störung der gewohnten Ordnung, echte Avantgardisten nennen es Subversion. Die Nachbarschaft zur komponierten Neuen Musik war stellenweise unüberhörbar.

Im Grunde hatten die drei Stimmen so viel miteinander gar nicht zu tun, eher machte jeder seins. Dennoch entstand ein spannungsvolles Klangbild, dessen Hauptpart der Kontrabass in unendlichen Variationen übernahm. Improvisatorisch war er wohl am freiesten, er überzeugte in jedem Moment.

Die Tuba blieb permanent auf Sparkurs. Freilich hörte man mehr Free als Jazz, auf Wunsch des Veranstalters gar in eher gemäßigten Zügen, nichts Schrilles, nichts Wildes, keine Kapriolen, alles con sordino. Archetypische Ausbrüche in die Tiefen des Widerstands fehlten – schade, so weit reichte die viel gepriesene Freiheit dann doch nicht.

Das verwundert, denn Bauer und Poore spielen schon seit Urzeiten zusammen – bislang allerdings noch nie mit Johansson. Deshalb wohl überließ man ihm den Hauptpart des Abends, inklusive aller Vibrati mit Besen auf Pappe. Die andere Grenze, die zwischen Ernst und Provokation, verwischte dabei ständig. Wie sagte Matthias Bauer nach gut einer Stunde in Richtung Presse: „Wir haben gesponnen, jetzt seid Ihr dran!“ Na gerne doch. Gerold Paul

Gerold Paul

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