Kultur: Die Angst des Balles vor dem Fall
Frank Darius findet Märchenhaftes im ganz normalen Alltag: Seine Fotografien sind im Einstein-Forum zu sehen
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Grün scheint die Rasenfläche des überdimensionalen Bildes in das Auge des Betrachters, der in den Ausstellungsraum im Einstein-Forum kommt. Der Rasenmäher hat seine graphisch attraktiven Kurven und Kreise gezogen. Ästhetisch wohlgeordnet befinden sich die Papierkörbe im öffentlichen Raum. Vorne hängen ein paar Zweige in die Kamera, und leicht vom Zentrum zum Bildausgang hin gerückt hat ein Mann seine eigene Welt gebaut. Zeltartig beschützt ein Stoff seine Habseligkeiten, ein grelllila Regenschirm scheint wie eine fröhliche Sonne über der Szene. Daneben steht stolz wie ein Hahn der halbnackte Mann und freut sich über die Idylle, die er sich geschaffen hat. Frank Darius hat seine Arbeit auf einen Seidenstoff prägen lassen, dadurch entsteht ein warmer Eindruck, der zur selbstvergessenen Atmosphäre des stillen Glücks passt.
Der in Berlin lebende Fotograf stellt nichts, er sucht nicht, die Motive finden ihn. Wie dieser zumindest für den Moment freudige Mann, dem auch der Regen überhaupt nichts auszumachen scheint. Ein Glückspilz, der sich an dem wenigen, was er hat, freuen kann, einer, dem die Hektik der Gesellschaft nichts anhaben kann, einer, der begriffen zu haben scheint, dass es nicht auf das ankommt, was man hat, sondern darauf, wie man sich fühlt.
Frank Darius schaut genau hin, er sucht Inseln im allzu perfektionierten, an einem auf zweifelhafte Effizienz ausgerichteten Leben. Und er findet sie: An einem Zaun vor öder Industriewinterlandschaft hängen bunte Ringe, „Traumfänger“ genannt und flattern mit ihren farbigen Bändern fröhlich gegen die Tristesse an. Unbelebtes wird belebt: Wie Geisterkleider türmen sich die Teppiche in der Auslage eines Orientteppichladens, so dass man meinen könnte, gleich käme Aladin mit der Wunderlampe aus seiner Höhle und würde auf seiner orientalischen Brücke in die Höhe schweben. Märchenhaftes im ganz normalen Alltag zu finden, darauf scheint sich der 43jährige Fotograf spezialisiert zu haben. Er benötigt keine Weltreisen, um Neues zu sehen und den Betrachter ebenfalls in den Bann der leicht veränderten Perspektive zu ziehen. Wenn das Jahrmarkt-Pferd von einem auf schneenasser Straße abgestellten Hänger aus zum Sprung ansetzt, um seiner Isolation zu entkommen, wenn auf einer Flusswelle zwei Holzschuhe aufeinander zuschwimmen, als wären sie Liebende, dann kann man auch in unserem Alltag die Poesie entdecken. Die nur neun Arbeiten sind im ersten Stock des Einstein-Forums am Neuen Markt zu sehen. Dort wurde die Ausstellung als Teil des Workshops „The Impact of Imagination" (Die Wirkung der Vorstellungskraft) kürzlich eröffnet. Welche Wirkung die Vorstellungskraft haben kann, zeigt Darius mit einem Augenzwinkern in dem Moment, in dem er auf den Auslöser drückt.
Dass unsere Einbildungskraft am besten arbeitet, wenn sie aus der Wirklichkeit eine Anregung nehmen kann, beweisen diese Arbeiten auch. Nicht zuletzt beim Betrachter, in dessen Fantasie sich ganze Geschichten entfalten, wenn sie nur ein klein scheinendes Foto von Darius sehen. Angesichts des rotblauen Balls, der in den noch unversehrt schneebedeckten Innenhof gerollt ist und mit seiner Farbenpracht glänzend angibt, stellt man sich schnell eine mögliche Erzählung vor: Das Kind, das selbstvergessen den Schnee beim Fallen beobachtet und dabei den Ball aus dem Fenster entließ, um zu sehen, was dann passiert. Unweigerlich sehen und hören wir die Mutter, die gerade in der Küche das Frühstück zubereitet.... und wir erleben vielleicht die Angst des Balles vor dem Fall. Das wäre dann eine wunderbare Überleitung zum Thema Angst, das demnächst im Einstein-Forum verhandelt wird. Lore Bardens
Zu sehen bis Jahresende, geöffnet zu den Bürozeiten (Tel. 271780) im Einstein-Forum am Neuen Markt 7.
Lore Bardens
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