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Von Heidi Jäger: Die Angst geht um

Ingo Berks „Hexenjagd“-Inszenierung am Hans Otto Theater ist von eindringlicher Intensität

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Dieses Feuer lässt schaudern. Seine züngelnden Flammen schüren Angst. Sie sind Zeichen der Hexenverbrennung. Die lodernden Scheite auf der Bühne sind für John Proctor letzter Ort der Entscheidung. Gibt er zu, mit dem Teufel zu paktieren, um damit sein Leben zu retten? Oder bleibt er bei der Wahrheit, dass all diese angeblichen Verschwörungen mit dem Satan nichts als Humbug sind? Dafür würde er gehängt, aber sein Gesicht und die Ehre der Familie wären gewahrt.

Philipp Mauritz gibt diesem John Proctor in der Inszenierung „Hexenjagd“, die am Donnerstag eine aufwühlende, mit viel Applaus bedachte Premiere am Hans Otto Theater feierte, zutiefst menschliche Züge. Man ringt mit dem aufrichtigen Mann, der als Bauer geerdet ist und nun als Bauernopfer von einer willfährigen Justiz angeklagt wird. Vor ihm sind bereits über zehn einfache Leute aus dem Dorf an den Pranger des Verrats gestellt und unschuldig hingerichtet worden. Alles im Namen Gottes, der hier in menschlichen Verwerfungen seine Teufelsfratze zeigt.

Regisseur Ingo Berk findet für Arthur Millers Drama eine schlichte, nie aufbauschende Erzählweise. Er vertraut auf die Worte des Autors und die Wirkung seiner Schauspieler, die diesen wilden Hexentanz in einer geschlossenen Ensembleleistung mit großer Bühnenpräsenz und charakterfüllender Authentizität begreiflich machen. Es sind herbe Figuren, die sich hier auf der dunkel ausgeschlagenen Bühne von Magda Willi zwischen langen grauen Vorhängen verschanzen. Jeder auf der Lauer, jeder des anderen Feind. Warum erwachsen aus dieser dörflichen Gemeinschaft aber solche hinterhältigen Anschwärzer und Raffzähne, solche kaltherzigen, stumpfsinnigen, strauchelnden Wesen?

Arthur Miller ist in seiner wie ein Krimi anmutenden Parabel der Angst auf der Spur. Er beschreibt einen Fall, der sich so in Neuengland im 17. Jahrhundert historisch verbürgt zugetragen hat: in einer streng religiösen Gemeinde, in der alle Lebenslust, wie Tanzen oder Lesen, Frevel ist. Doch junge Mädchen wollen natürlich ausgelassen sein, und so tanzen sie eines Nachts nackt ums Feuer, wohlwissend um die Sünde ihres heidnischen Rituals. Als sie vom Pfarrer Parris (Marcus Kaloff) entdeckt werden, befürchten sie eine Strafe. Um dieser zu entgehen, bezichtigen sie Frauen im Dorf, von ihnen verhext worden zu sein. Durch diese Falschaussage wird eine Kette von Verleumdungen ausgelöst, die zur Hysterie und mordlüsternen Jagd ausartet.

Jeder ist plötzlich verdächtig, und natürlich lassen sich dabei Widersacher zur Strecke bringen, die einem schon lange ein Dorn im Auge waren. Man muss das Gift nur richtig sprühen. Die Anführerin dieser Mädchen ist die verschlagene Abigail, die von Nele Jung herausragend in ihrer Mischung aus kantiger Verschlagenheit, aggressiver Wut und Liebessehnsucht verkörpert wird. Abigail, die einst die Köpfe ihrer Eltern am Boden zerschmettert gesehen hat – der Grund bleibt ungenannt – war Magd von John Proctor und seiner Frau. Als es zwischen Herr und Dienstmädchen zum Beischlaf kommt, muss Abigail gehen. Doch sie will und kann nicht von Proctor lassen, der sich von diesem Fehltritt distanziert. Dieses Ringen um ihre krankhafte Liebe nachts vor dem Dorf ist eine der eindringlichsten Szenen. Die Vorhänge schließen sich, es bleibt nur ein schmaler Schlitz geöffnet. Er scheint wie ein Schlund in den Abgrund zu ziehen. Abigail hält an ihrem Vorhaben fest, Proctors Frau zu vernichten. Sie wittert die Chance, selbst diesen Platz einnehmen zu können.

Nachhaltig auch das Bild, wie Proctor mit seiner Frau Elizabeth am langen Holztisch sitzt, von einem kleinen Kerzenlicht erhellt. Zwischen diesem Paar herrscht nach dem Fremdgehen noch immer Misstrauen und doch spürt man eine achtungsvolle Zuneigung. Philipp Mauritz und Marianna Linden füllen ihre Rollen mit großer Natürlichkeit. Ihre häusliche Zuflucht ist nach dem ganzen Hexengetöse, das heute schon recht befremdlich wirkt, wie eine Insel des versuchten Miteinanders. Doch auch vor dieser Tür macht die fiebrige Hetze nicht Halt. Abigail setzt den Motor der Gesinnungsschnüffelei wie angedroht weiter in Gang, und so wird die gottestreue schwangere Elizabeth aufgrund einer Lüge ebenfalls abgeführt.

Bernd Geiling als Richter in den Hexenprozessen gibt der gedrückten angespannten Atmosphäre der Aufführung eine schwungvolle Note, die allerdings das Spiel für einen Moment auch ins Lächerliche treibt. Er präsentiert den weltläufigen, oberflächlichen und etwas schmierigen Menschenschlag. Noch könnte er Urteile abwenden, denn die Lüge der Mädchen wird immer offensichtlicher. Aber schon sind einige „Hexen“ durch seine Entscheidung hingerichtet worden. Ein Rückzieher könnte als Unsicherheit seiner eigenen Person gedeutet werden. Da lässt er sich auch von dem ermittelnden Reverend Hale, den Jan Dose in angenehmer Zurückhaltung als wahrheitssuchenden Gläubigen gibt, nicht beirren.

Es gibt viele Schattierungen der Angst, die in dieser zugespitzten Handlung Raum greifen und in der sehr präzise gearbeiteten Inszenierung durchaus ins Heute zielen. Denn wie schnell jemand in Verruf kommt, die Gesinnungsjagd beginnt, zeigen immer wieder geführte Glaubenskriege ebenso wie das Buch Sarrazins, bis zu Mobbing oder böser Leumund in der Kirche. Das Feuer von „Hexenjagd“ lodert, wo immer sich Angst ausbreitet und unwidersprochen Funken schlagen kann.

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