Kultur: Die Beethovisierung des Trash
Knorkator spielten am Samstagabend in der ausverkauften Waschhaus-Arena - und bewiesen, dass sie einfach nicht altern können.
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Der musikalische Wahnsinn hat Laufen gelernt, ist gewachsen – aber irgendwie nie erwachsen geworden. Knorkator sind immer noch da, oder vielmehr schon wieder, rechnet man die kreative Pause ein, die vorher als Abschiedstour verkauft wurde. Aber ohne Bühne können sie einfach nicht, dieser geballte Blödsinn funktioniert nur, wenn man ihn auch hinausposaunen kann – wie am vergangenen Samstag in der zum Bersten gefüllten Waschhaus-Arena.
Immerhin blickt die Berliner Band mittlerweile auf 20 Jahre Geschichte zurück, und wer sie noch in den 90er-Jahren erlebt hat, hätte es wohl nie für möglich gehalten, dass sich dieser geballte Nonsens so lange im Sattel halten kann – schlimmer noch: dass sich die Fanbase so konsequent vergrößern würde. Wer nicht mehr in die Arena passte – und das waren einige – , dem blieb nur ein Plätzchen im Vorraum, wo man zwar nicht viel sehen konnte, aber wenigstens hören. Nun ja, der Anblick von Sänger Stumpen, der seinen zutätowierten Körper in enge, schwarze Plastikschlüpfer presste, war gewiss auch nicht jedermanns Sache. Kollege Alf Ator – nicht minder geltungsbedürftig – wickelte sich in eine froschgrüne Tunika. Aber was hatte man auch anderes erwartet.
Eine Vorband brauchen Knorkator nicht, das ist ihre Show und die machen sie ganz alleine – einfach weil sie es können. Und auch wenn sie ein neues Album namens „We Want Mohr“ im Gepäck haben: So richtig gezündet haben doch die alten Songs. Ob das daran lag, dass die neue Scheibe weniger Vulgarismen enthält als das ältere Oeuvre der Band? Muss es wohl, denn Songs wie „Ich will nur fickn“ oder „Mich verfolgt meine eigene Scheiße“ sind nun mal das unbestrittene Markenzeichen der Band und fehlten auch an diesem Abend nicht. Musikalisch muss man vor Knorkator auch einfach den Hut ziehen: Was Gitarrist Buzz Dee für akzentuierte Riffs aus seiner Gitarre schlägt, ist immer wieder beeindruckend. Und dass die Sänger Stumpen und Alf Ator mit einer stimmlichen Bandbreite imponieren können, ist auch schon längst kein Geheimnis mehr.
Wer hier nur präpotenten Pubertätshumor erwartet, wird der Band jedoch nicht gerecht. Knorkator sind einfach großartige Musiker, und die lyrische Provokation mit grenzwertigen Texten ist lediglich die Absicht, dem Wahnsinn Methode zu verleihen. Nein, Knorkator machen keine Haudrauf-Musik, sondern hohe Kunst des Komponierens, fast ein wenig die Beethovisierung des Trash. Eigentlich müsste das peinlich sein, ist es aber nicht – es ist hinreißend komisch. Allen voran der hyperaktive Derwisch Stumpen, der das kochende Publikum mit Inbrunst dirigierte: „Jubel! Halt, stop! Jubel! Jetzt nur der Streifen hinten rechts! Jubel!“ Da ließen sich die Fans eben bereitwillig von seinem Kasperletheater leiten. „Ihr trübt meine gute Laune nicht, indem ihr nicht angemessenen Applaus spendet!“, kommentierte Stumpen die Jubelarien, die er sich selbst anzettelte.
Natürlich ist es trashig, wenn die Band einfach nur „Hänschen klein“ anspielt, um direkt danach ihren Erfolg „Alter Mann“ hinterherzuschieben. Und überhaupt ist bei Knorkator eine Nähe zum Infantilen festzustellen: Im Song „Konrad“, der den einfachen Refrain „Daumenlutscheeer!“ hat, verwursteten sie eben mal den „Struwwelpeter“ des Kinderbuchautors Heinrich Hoffmann.
Gegen Ende drehte Stumpen, der nach eigenem Bekunden demnächst 50 wird, richtig auf, sein selbst angefeuertes Jubelgeschrei kostete die Band immerhin vier Zugaben. „Ich schäme mich für meine Fans“, sangen Knorkator. Und Stumpen selbst stellte sich in einen riesigen Plastikball, den er aufpumpen ließ – und rollte ab über das Publikum. „Ihr wart für mich der Müggelsee!“, keifte er danach glücklich grinsend ins Publikum – und sprang gleich darauf, vom Plastik befreit, mit Anlauf und Salto in selbiges hinein. Wer hatte hier eigentlich mehr Spaß? Die Band oder das Publikum?
Oliver Dietrich
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