Kultur: Die Beschadeten
Katharina Hacker liest heute im Fabrik-Café aus ihrem neuen Buch „Die Erdbeeren von Antons Mutter“
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Das kann doch nicht gut gehen. Bauer Helmer ist gleich skeptisch. Erdbeersträucher einpflanzen, die schon Früchte tragen, nur Wochen vor der Ernte? Wenn die mal nicht faulen. Aber faul ist so einiges in Anton Webers Leben, und das, obwohl sich der 43-jährige Arzt mit seinem Junggesellendasein in Kreuzberg eigentlich eingerichtet hat. Es ist ein Leben zwischen der Praxis, dem kleinen Freundeskreis im gar nicht so hippen Berlin und den Eltern Hilde und Wilhelm im niedersächsischen Dorf Calberlah bei Wolfsburg. Die selbstgemachte Erdbeermarmelade, die seine Mutter ihm jedes Jahr nach Berlin schickt, ist für Anton eine Art rote und süße Versicherung darüber, dass alles irgendwie so ist, wie es sein sollte. Zu seinem eigenen Glück, heißt es einmal, fehlen ihm nur Frau und Kinder. Schon dieses „nur“ gibt Anlass zur Sorge, nicht nur für Antons Eltern. Aber welche Rolle spielt das eigene Glück überhaupt noch, wenn die Mutter an Demenz erkrankt? Und eines Tages sogar die Erdbeeren vergisst? Und darüber so unglücklich ist, dass es dem Sohn das Herz bricht? Mit Bauer Helmers Hilfe will Anton schummeln und nachträglich fertige Pflanzen in den Garten holen.
Mit dieser ebenso liebevollen wie hilflosen Geste beginnt Katharina Hackers Buch „Die Erdbeeren von Antons Mutter“, aus dem sie heute in Potsdam liest. Die Figuren kennen Hacker-Leser zum Teil bereits aus dem Vorgängerroman „Alix, Anton und die anderen“. Es war ein Buch, das im vergangenen Jahr mehr durch die Begleitumstände der Veröffentlichung denn durch den Inhalt selbst Schlagzeilen machte – zum Ärger der in Berlin lebenden Autorin, die den Roman als Teil einer geplanten Trilogie „im Kern“ für ihr „bislang wichtigstes Werk“ hält. Zwischen dem Suhrkamp-Verlag und Hacker war es zu Auseinandersetzungen gekommen, das Buch wurde letztlich ohne ihre Zustimmung und mit wesentlichen Änderungen in der Gestaltung veröffentlicht. Daraufhin verließ die für „Die Habenichtse“ 2006 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnete Schriftstellerin und Übersetzerin den Suhrkamp-Verlag nach 15 Jahren der Zusammenarbeit und wechselte zu S. Fischer.
Bevor das Romanprojekt dort fortgesetzt wird, erschien nun die Novelle „Die Erdbeeren von Antons Mutter“, eine Art literarischer Zwischenruf, ein Lebenszeichen der 43-Jährigen. Und es ist ein dichtes Buch, ein vielstimmiger Text mit einer traurigen Geschichte.
Wenn man die 40 einmal überschritten hat, ist das Leben eben einfach nicht mehr so einfach, scheint es. Und die Liebe auch nicht. Während die Erdbeeren für Antons demente Mutter reifen, wächst neben seiner Sorge auch die Liebe zu Lydia, in die er buchstäblich hineingerannt war. Aber die alleinerziehende Mutter, sie ist Ärztin wie Anton, ist kein unbeschriebenes Blatt mehr. Sie bringt ihre eigene verwickelte Geschichte in Antons Leben, dass zu zerfallen droht wie das Gedächtnis seiner Mutter. Dabei ist Lydia anfangs noch so vorsichtig zögernd, dass Anton an ihrer Zuneigung zu zweifeln beginnt. Plötzlich muss er sich jedoch mit einem mysteriösen Verfolger auseinandersetzen und mit dem Schicksal von Lydias Ex-Freund, einem ausgestiegenen Fremdenlegionär, der seine Vergangenheit nicht hinter sich lassen kann.
Es will sich einfach nichts mehr fügen. „Das Glück, das sich Anton zugeschrieben hatte, war nurmehr Illusion, unbeschadet würde in seinem Leben nichts mehr sein“, heißt es an einer Stelle. Aus den Erdbeeren, die er am Anfang pflanzt, wird die Mutter keine Marmelade kochen. Anton bleibt nur die Hoffnung auf seine Liebe zu Lydia, von der er noch nicht so genau weiß, was das eigentlich bedeuten soll, „eine Liebe, die mit Glück nicht identisch war“. Jana Haase
Katharina Hacker liest heute Abend im fabrik-Café in der Schiffbauergasse aus ihrem Roman „Die Erdbeeren von Antons Mutter“. Beginn ist 19 Uhr. Die Veranstaltung ist eine Kooperation vom Literaturladen Wist, dem Fabrik-Café und dem monatlichen Literatur-Salon des Frauenkulturzentrums primaDonna
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