Kultur: Die Bilder sprechen
Der Spielfilmpreis der „Sehsüchte“ geht an zwei Filme, bei denen Dialog nebensächlich ist
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Der Spielfilmpreis der „Sehsüchte“ geht an zwei Filme, bei denen Dialog nebensächlich ist Man erfährt das Wesentliche eher nebenbei, muss es sich denken und erarbeiten. Dass die beiden jungen Frauen Maya und Tamar ein Liebespaar gewesen sind, wird nie ausgesprochen. Der innige Kuss hätte auch ein Ausrutscher sein können. Die Rückblenden werfen das Licht auf eine merkwürdige Beziehung. Wenn Maya am Steuer des Wagens die Augen schließt, wird klar, dass sie die bevorstehende Trennung mit Zwang verhindern will. Doch dass Tamar Israel verlässt, nach London geht, kann die mädchenhafte Maya nicht einmal dadurch verhindern, dass sie im Krankenhaus so tut, als liege sie im Koma. Ihre Tränen verraten sie schließlich. Die Tränen, die auch in ihren Augen stehen, wenn Tamar endgültig gegangen ist. Der israelische Kurzfilm „Be“einaim atsumot“ („Whatever it takes“) von Adi Halfin teilt sich den diesjährigen Spielfilmpreis des gestern zu Ende gegangenen Studentenfilmfestivals „Sehsüchte“ mit dem mexikanischen Film „Un viaje“ („A trip“) von Gabriela Monroy. Auch in diesem Film erfahren wir über das Verhältnis des Vaters zu seinem Sohn nichts Vordergründiges. Man merkt vielmehr erst nach einer Weile, dass der kleine Junge autistisch ist. Der Vater hat es nicht leicht mit dem Jungen, und als er ihn in der U-Bahn verliert, unternimmt er erst nichts. Doch dann quält ihn die Angst. Durch den Verlust hat er bemerkt, wie sehr er an seinem Sohn hängt. Die Umarmung, als er ihn wieder findet, sagt alles. Wie schon in dem israelischen Film transportieren auch hier vornehmlich die Bilder die Beziehung zwischen zwei Menschen. So kommt man an die Personen viel näher heran. Näher als durch endlose Dialoge, die von der wirklichen Beziehung der Menschen nur ablenken. Es ist nicht das erste Mal, dass ein „Sehsüchte“-Preis nach Israel geht. Und auch in diesem Jahr sind die Filme der Sam Spiegel Film & TV School Jerusalem außerordentlich stark. Ohne Auszeichnung blieb der sehr sehenswerte Film „Kvish“ („The Road“). Ein israelischer Straßenbauer wird in der Wüste von seinen palästinensischen Arbeitern stellvertretend für die Siedlungspolitik Israels hingerichtet. Der junge Filmemacher Nadav Lapid hat es geschafft, dies nicht einseitig aus der Perspektive des Opfers zu zeigen. Einer der Arbeiter verliest eine erschütternde Anklageschrift, die Motivation der Männer wird erkennbar. Dass ihre Tat dennoch sinnlos ist, zeigt das Ende. Man hört Hubschrauberlärm, die Funksprüche der Flieger und sieht verwackelte Bilder. Auch die Mörder überleben die Hinrichtung nicht. Sozialkritische Themen sind bei einem Studentenfilmfest keine Seltenheit. Claudia Indenhock hat sich für ihren Dokumentarfilm „Wir leben im 21. Jahrhundert“ auf die Spur von drei Hauptschulabbrechern gemacht, die einen Weg in die Arbeitswelt suchen. Sie zeigt ungeschönt das ärmliche Milieu der drei Schüler in einer deutschen Schlafstadt, ihre sozialen und persönlichen Probleme. Am Ende bleibt die Hoffnung, dass zwei von ihnen ihren Weg machen. Dafür bekam der Film den Dokumentarfilmpreis. „Ein Film der Mut macht – den Betroffenen und den Zuschauern“, so die Jury. Unbedingt erwähnt werden muss noch der Dokumentarfilm „89 Millimeter“ von Sebastian Heinzel, für dessen Schnitt Lena Rem ausgezeichnet wurde. Eine Recherche in der „letzten Diktatur Europas“. Das Filmteam wollte wissen, wie junge Menschen heute in Belarus (Weißrussland) leben . Ein tiefer Einblick in das Leben in einem Regime. Das reicht von direkter Unterdrückung und verschwundenen Oppositionellen bis hin zu der Feststellung eines jungen Mannes: „Diktatur? Ich fühle keine Diktatur.“ Dem Festival ist es in diesem Jahr gelungen, die sich einschleifende Routine durch gezielte Irritationen und geschickte Neuerungen – Rollrasen im Kino, Picknickkörbe zur Gala – aufzulockern. Ganz frühlingshaft wollte man wirken, ein bisschen anders als sonst, frischer eben. Das hat funktioniert, auch wenn der ein oder andere Filmblock zu spät anfing, und manch eine Diskussion nach dem Film nicht so recht in Gang kam. Besser sogar als in den vergangenen Jahren sei das Festival im Thalia Kino besucht gewesen, an die 12 000 Zuschauer registrierte das Team. Ein Grund für den Zulauf war sicherlich auch der Fokus China: Ein im Umbruch befindliches Land verspricht immer sehenswerte Filme. Offen bleibt die Frage nach dem Standort der „Sehsüchte“. Der Rollrasen im Foyer des Thalia-Kinos zumindest hat den Dauertest überstanden, wenn auch recht abgetreten. Zwischen den vielen Filmblöcken und Diskussionen kam schließlich richtiger Festivalbetrieb auf, am Abend durch Cocktailbar und DJ angereichert. Doch HFF-Rektor Dieter Wiedemann wird nicht müde, sich die „Sehsüchte“ auf das Studiogelände – in die Nähe der HFF – zurück zu wünschen. Auch Filmpark-Chef Friedhelm Schatz will das Festival in die Filmstadt holen. Die Studenten indes fühlen sich im Thalia recht wohl. Es spreche vieles für das Kino, nicht zuletzt die gute S-Bahn-Anbindung, so das Team. Auch das Kino profitiere von der Zusammenarbeit. Da aber jedes Jahr ein neues Studenten-Team an den Start geht, wird die Standortfrage auch im kommenden Jahr wieder auf dem Plan stehen. Man darf also gespannt bleiben.
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