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ZUR PERSON: „Die DDR heute? Zum Glück vorbei“

Die Schriftstellerin Claudia Rusch liest heute in Potsdam – Ein Gespräch über die Vergangenheit

Stand:

Frau Rusch, „Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau“ heißt Ihr jüngstes Buch. Ein Titel, der Erwartungen auf das Heute weckt. Doch Sie erzählen viel in der Rückblende. Warum lässt Sie die DDR-Vergangenheit nicht los?

Oh, die DDR-Vergangenheit hat mich keineswegs im Würgegriff, wenn Sie das meinen. Aber ich bin ja keine Chronistin oder Journalistin – ich bin Geschichtenerzählerin und als solche erzähle natürlich immer von dem, was meine Umwelt so prägt. Und bei 18 Jahren Ost und 20 Jahren West kommt da schon häufig die DDR vor. Aufbau Ost übrigens ist ein Slogan vom Anfang der 90-iger Jahre. Selbstverständlich schaut man darauf in der Rückblende. Wie denn sonst?

Ihre intensive Auseinandersetzung mit der DDR begann, als Sie sich der Geschichte Ihres Großvaters zuwandten, die Sie in Ihrem Debüt „Meine freie deutsche Jugend“ verarbeitet haben. Sie kannten das Schicksal Ihres Großvaters doch schon. Was war plötzlich anders?

Nein, nein, in meinem Debütband habe ich 25 autobiographische Kurzgeschichten niedergeschrieben, in denen es ab und zu auch um meinen tragisch gescheiterten Großvater geht. Von Verarbeitung der Auseinandersetzung mit seinem Schicksal kann in diesen Texten kaum die Rede sein. Außerdem kannte ich zu DDR-Zeiten das Schicksal meines Großvaters keineswegs. Er wurde 1966 verhaftet, verschwand in den Kellern der Stasi-Untersuchungshaft und 1967 kamen von dort ein zwielichtiger Totenschein, ein Sarg und ein Leichnam. Niemand wusste, was passiert war. Das haben wir erst nach der Wende aus den Stasi-Akten erfahren – und auch da nur zu Teilen. Es ist bis heute ungewiss, was wirklich passiert ist.

DDR-Vergangenheit erschien jahrelang als eine Art Makel. Doch je stärker wir versuchen, sie abzuschütteln, umso bewusster scheint sie uns zu werden. Warum wehren wir uns so dagegen, fällt es uns schwer, selbstbewusst damit umzugehen?

Wieso denn Makel? Ich sage immer, die DDR war nicht toll, aber wir Menschen, die wir dort gelebt haben, wir waren sehr oft ziemlich toll. Die meisten Leute haben damals im Osten versucht, unter schwierigen Umständen so ehrlich und aufrichtig wie möglich zu leben. Wichtig scheint mir vor allem, dass man heute objektiv unterscheidet zwischen dem eigenen Leben und dem Staat. Deutlich zu benennen, welche Strukturen, Manipulationen und Repressalien das System bestimmt haben, heißt ja keineswegs, das dort stattgefundene Leben aller gleich mit zu verdammen.

Sie selbst erleben diese Vergangenheit immer wieder in ihrer Ambivalenz, wie Sie in Ihrem Buch schreiben. Auf der einen Seite der Unrechtsstaat, der den Menschen die Freiheit verwehrte, auf der anderen Erinnerungen an die Kindheit, die Schulzeit, die auch von vielem Schönen geprägt war. Fällt es Ihnen mittlerweile leichter, mit dieser Ambivalenz umzugehen?

Es ist mir nie schwer gefallen, damit umzugehen. Ich musste es ja. Ich habe die DDR, aus der Geschichte meiner Familie und meiner eigenen Behandlung durch den Staat resultierend, nie anders erlebt als bedrohlich. Aber ich habe dort auch Solidarität, Freundschaft, Schutz, Liebe, Freude, Feiern und viel Glück gekannt.

In „Aufbau Ost“ bringen Sie den Zwangsunterricht in Russisch auf den Punkt. Die Sprache wurde zwar gelehrt, doch alles verhindert, um sie zu sprechen. „Russisch wurde in der DDR wie Latein gelehrt. Als tote Sprache. Ein Geheimcode, der nur auf dem Papier Verwendung fand“, schreiben Sie. Sind Ihnen noch andere „tote Dinge“ aus der DDR in Erinnerung?

Internationale Solidarität. Bis auf die Wurzeln ausgerotteter Faschismus. Mein Arbeitsplatz – mein Kampfplatz für den Frieden. Schöner unser Land. Alles für das Wohl des Volkes. Das waren ja samt und sonders leere Hülsen. Mal ganz abgesehen von den Arbeitsplatzbedingungen und der Parole, dass alles für das Wohl des Volkes gegeben wurde. Da lachen ja die Hühner, hätte meine Oma gesagt.

Was an DDR-Erinnerungen ist bei Ihnen noch besonders lebendig?

Die ersten 18 Jahre meines Lebens.

Was ist die DDR heute überhaupt noch, außer Erinnerung?

Was ist die DDR heute noch – na, zum Glück vorbei, würde ich sagen. Sie ist ansonsten ein wichtiges Untersuchungsobjekt im Bereich der Diktaturforschung. Eines der Länder, in denen die verlockende, aber unrealistische Idee vom Sozialismus gescheitert ist. Natürlich ist die DDR tatsächlich wenig mehr als eine Fußnote in der Geschichte. Jedenfalls gesehen auf ein Jahrtausend.

Wie sehr empfinden Sie, spüren Sie noch heute, wenn überhaupt, das Trennende zwischen Ost und West?

Ich empfinde ehrlich gesagt nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame. Und da gibt es unendlich viel. Klar, unterscheiden wir uns manchmal in Denkweise und Handlungen, Kunststück, wir sind ja auch in verschiedenen Ländern aufgewachsen.

„Um die Jahrtausendwende war die DDR kein Thema“, schreiben Sie in „Aufbau Ost. Unterwegs zwischen Zinnowitz und Zwickau“. Wird die DDR nach dem diesjährigen 20. Jubiläumsjahr wieder in eine gewisse Bedeutungslosigkeit zurückfallen?

Jedenfalls in die „Bedeutungslosigkeit“, in die alles irgendwann zurückfällt. Die DDR hat da keinen Sonderstatus. Aber noch ist es nicht soweit. Wir haben einen langen Weg vor uns und wir sollten ihn als Chance sehen. Ist doch großartig, dass wir in so bewegten Zeiten leben und Anteil daran haben.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Claudia Rusch liest heute, 18 Uhr, in der Landeszentrale für politische Bildung, Heinrich-Mann-Allee 107, aus „Aufbau Ost“. Der Eintritt ist frei

Claudia Rusch, geboren 1971, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin.

Sie wuchs auf der Insel Rügen, in der Mark Brandenburg und ab 1982 in Berlin auf. Claudia Rusch studierte Germanistik und Romanistik und arbeitete sechs Jahre als Fernseh-Redakteurin.

Im Jahr 2003 erschien ihr erfolgreiches Debüt, der Erzählungsband „Meine freie deutsche Jugend“.

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