Kultur: Die DDR und das Danach
Die 12. Berlin-Brandenburgischen Buchwochen starteten in Potsdam mit Lesungen von Claudia Rusch und Jens Sparschuh
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Die 12. Berlin-Brandenburgischen Buchwochen starteten in Potsdam mit Lesungen von Claudia Rusch und Jens Sparschuh „Die Welt erfinden. In Büchern reisen", unter diesem Titel haben die zwölften Berlin-Brandenburgischen Buchwochen am 19. Oktober begonnen. In Potsdam startete der Lesereigen am Wochenende. Mit Jens Sparschuh und Claudia Rusch standen zwei im Osten aufgewachsene Autoren auf dem Programm, die sich denn auch mit deutsch-deutschen-Befindlichkeiten auseinander setzten. Literarischer Roadmovie Jens Sparschuh ist einer der Autoren, die optisch eher unscheinbar durch die Welt laufen. Kurzes, graues Haar, schlank, Jeans, graues Jacket, so sitzt er am Sonnabendnachmittag in dem großen Ohrensessel, den die Mitarbeiter der Zweigbibliothek Waldstadt liebevoll bereitgestellt haben. Viel Publikum hat der Berliner Autor, der spätestens mit dem – auch verfilmten – „Zimmerspringbrunnen“ bekannt wurde, nicht. Ihm sitzen einige ältere Pärchen gegenüber, vereinzelt Frauen und Männer, drei Jugendliche. Auch sein neuer Roman „Eins zu eins“ umkreist das literarische Fachgebiet des in Cottbus geborenen und in Berlin aufgewachsenen Schriftstellers, mit dem er schon zahlreiche Erzählungen gekonnt gefüllt hat: die deutsch-deutschen-Befindlichkeiten. „Eins zu eins“ gehöre nach Potsdam, in die Mark Brandenburg, sagt Jens Sparschuh. Dort ist es quasi entstanden. In seinem Kopf. Bei Wanderungen und Autofahrten durch die Region. Der Roman handelt von einem Wanderkartenverlag, „anderswandern“, der sich nach der Wende neu gründete, und seinen „Insassen“. Das Land zwischen Elbe und Oder musste neu vermessen werden, die Karten in der DDR waren oft sehr vermessen, erklärt der Autor metaphorisch amüsiert, denn die DDR-Karten führten oft ins Nirgendwo. Dann schlägt er das im Kiepenheuer & Witsch erschienene 400-Seiten Buch mit den kahlen Herbstbäumen auf der Titelseite auf und beginnt zu lesen. Der Vorleser stellt den Ich-Erzähler, den im Osten geborenen Olaf Gruber vor, einen blassen Typen mit der Neigung zu phlegmatischer Fülle und scharfem, stahlblauem Blick – das Einzige, an dem man sich bei ihm festhalten kann, hatte Ulrike, seine Ex, gesagt. Jens Sparschuh formuliert präzise und bildreich, er verflechtet Innen- und Außenwelten zu einem feinsinnigen Ganzen und würzt seinen bildreichen Aufguss mit einer amüsanten Prise Ironie. Es braucht nur wenige Absätze, bis die Zuhörer mitten drin sind in der Welt des Olaf Grube. Im Auftrag seiner Chefin macht sich der der Ich-Erzähler auf Tour durch Brandenburg, sucht mit Blick auf ein Verzeichnis des Verlages alte Kirchen auf. Es sind die Begegnungen mit den zufällig auftauchenden Einheimischen, die ihn in die DDR-Vergangenheit zurücktragen, die ihm den Wandel zeigen, auch den eigenen. Jens Sparschuh erzählt mit Fingerspitzengefühl. Sein Ich-Erzähler sieht die Entwicklung im märkischen Sand aus der Perspektive eines Menschen, der schon lange nicht mehr an diesem Ort war. Ostalgie ist dem Autor fremd, er nähert sich nicht aus Ost-, noch aus West-, sondern aus menschlicher Perspektive. Gerade das macht seinen einfühlsam geschriebenen Roman, der nebenbei noch mit brandenburgischer Geschichte angereichert ist, aus. Das Publikum ist absorbiert. Jens Sparschuh hat die Waldstädter eine Lesestunde lang auf ihren Sitzen gefesselt. M. Hartig Mit leichter Hand bloß gestellt Nein, ein Buch über die DDR hat sie nicht schreiben wollen. Erinnerungen aus ihrer Kindheit und Jugend wollte Claudia Rusch zu Papier bringen. Dass ihr im Frühjahr erschienenes Debüt „Meine freie deutsche Jugend“ dann doch zu einem Erinnerungsbuch ostspezifischer Empfindlichkeiten erklärt wurde, mag durch die Tatsache begründet sein, dass sie in der DDR groß geworden ist. Vor allem aber wird es an ihrem unaufgeregten Ton liegen, mit dem sie ihre Erlebnisse erzählt und dabei auch, ganz beiläufig, von der DDR berichtet. Ein Buch mit Geschichten einer gewöhnlichen Kindheit im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat ist „Meine freie deutsche Jugend“ aber nicht geworden. Das wurde schon mit der ersten Erzählung „Die Stasi hinter der Küchenspüle“, mit der Claudia Rusch am Freitag ihre Lesung in der Stadt- und Landesbibliothek eröffnete, klar. 1971 geboren, ist die Autorin mitten in der DDR-Bürgerrechtsbewegung aufgewachsen. Die Freundschaft ihrer Mutter mit der Familie Robert Havemanns brachte sie schon als Kind mit dem perfiden Überwachungssystem eines in Stacheldraht eingeigelten Staates in Berührung, wo eine Fähre nach Schweden zum unerreichbaren Freiheitssymbol wurde. Doch sie klagt nicht an, sie erzählt einfach nur. Und dabei gelingt es ihr mit einer Leichtigkeit, die Stasi und ihre Methoden zu karikieren, bloßzustellen und einem gleichzeitig, ganz unaufdringlich, das Abgründige dieser Überwachungsparanoia vor Augen zu führen, die nicht einmal vor einem sechsjährigen Kind Halt machte. So war Claudia Rusch früh gezwungen, sich mit dem politischen System in der DDR auseinander zu setzen. Als Außenseiterin empfand sie sich – doch als Außenseiterin, deren Leben ansonsten gewöhnlich verlief. Und so erzählt sie auch von der kindlichen Vorfreude auf den kandierten Apfel vom Weihnachtsmarkt, von den Problemen der richtigen Kleidung bei der Jugendweihe und dem Traum, als DDR-Kind massenhaft westdeutsche Schokoladenprodukte verputzen zu können. Die Hälfte der 25 losen Erzählungen berichten von der Zeit nach 1989. Vom ersten, ernüchternden Besuch am Mittelmeer und davon, wie die Vergangenheit ihren Klammergriff nicht lösen will und der Verdacht der Stasibespitzelung bis in die eigene Familie reicht. Claudia Rusch erzählt das alles mit klaren, mal flapsigen, fast immer humorvollen Sätzen. Ihre persönlichen Erinnerungen macht sei dabei nie zu Kollektiverinnerungen. „Meine freie deutsche Jugend“ erscheint mittlerweile in vierter Auflage. Die Gäste in der Bibliothek gaben sich an diesem Abend mit der Lesung nicht zufrieden, suchten das Gespräch. Ja, eine Art Aufarbeitung sei dieses Buch schon, erklärte Claudia Rusch. Doch sei es vor allem ein Resultat ihrer Suche nach der Geschichte des Großvaters, der Jahre vor ihrer Geburt in einem Stasi-Knast ums Leben kam. Seine Geschichte, die im kommenden Jahr erscheinen soll, führte sie zu ihren Geschichten. Und die haben bei vielen Lesern die Erinnerung an die eigenen Geschichten, die guten und die weniger guten, hervorgerufen.Dirk Becker 29.Okt.: Friedrich Delius liest aus 1. Buch Mose, 19.30 Uhr, Stiftungsbuchhandlung.
M. Hartig
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