Kultur: Die Droge Brasch
Mit einer besonderen Lesung erinnert Carsten Wist an den Dramatiker Thomas Brasch
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Dieser Abschied ist Carsten Wist bis heute schmerzhaft in Erinnerung geblieben. Im Jahr 2000 hatte er Thomas Brasch zu einer Lesung nach Potsdam eingeladen. Zusammen mit Siegfried Ressel betrieb Wist damals den Buchladen in der Brandenburger Straße. Und gemeinsam hatten sie die Idee, ihre persönlichen Klassiker unter den Schriftstellern nach Potsdam zu holen. Für Carsten Wist war das unbedingt der Dichter, Dramatiker und Übersetzer Thomas Brasch. „Aber es war schwer, an ihn heranzukommen“, sagt Carsten Wist.
Er meint damit nicht, dass Brasch nicht zu erreichen gewesen wäre. Immer wieder telefonierte er mit dem in Berlin lebenden Schriftsteller. Doch zu sehr prägten da schon Alkohol und andere Drogen dessen Leben. So war es schwer, sich überhaupt auf einen Termin zu einigen. Doch Carsten Wist blieb hartnäckig, holte Brasch am Tag der Lesung am S-Bahnhof in Babelsberg ab und war auch nicht zu sehr enttäuscht, dass Brasch sich weigerte, aus „Vor den Vätern sterben die Söhne“ zu lesen. Es überraschte ihn auch nicht, dass er gleich nach seiner Lesung wieder aufbrach, nicht mehr blieb zu einem geplanten Gespräch. An der Tür drehte sich Brasch noch einmal kurz um und rief zum Abschied, dass er auf jeden Fall noch einmal nach Potsdam kommen wolle. „Und dann lese ich umsonst“, sagte er. Ein Jahr später war Thomas Brasch tot.
„Ein Fest für Brasch“ heißt der Abend, zu dem Carsten Wist am morgigen Dienstag in seinen Literaturladen in der Brandenburger Straße einlädt. Es ist der Geburtstag von Thomas Brasch, an dem er 68 Jahre alt geworden wäre. Es sollen an diesem Abend Gedichte und Prosa von Thomas Brasch gelesen werden, auch von dessen Bruder Peter Brasch. Filmausschnitte sind zu sehen. Und Marion Brasch wird kommen und aus ihrem Buch „Ab jetzt ist Ruhe“ lesen. Im vergangenen Jahr ist „Ab jetzt ist Ruhe“ erschienen, dieser „Roman meiner fabelhaften Familie“, wie Marion Brasch im Untertitel schreibt. Sie erzählt hier ihre und die Geschichte ihrer Familie. Gleichzeitig aber auch eine Geschichte über ihren ältesten Bruder Thomas Brasch. Zweimal hat Marion Brasch im vergangenen Jahr in Potsdam aus „Ab jetzt ist Ruhe“ gelesen. Beide Lesungen waren ausverkauft.
„Durch diesen Roman habe ich mich wieder intensiver mit Thomas Brasch beschäftigt“, sagt Carsten Wist. Denn durch den Roman habe er neue Einblicke in das Gefüge einer Familie bekommen, das vor allem vom Konflikt zwischen Horst und Thomas Brasch, zwischen Vater und Sohn geprägt war. Horst Brasch, von jüdischer Herkunft, war SED-Parteifunktionär und stellvertretender Minister für Kultur in der DDR. Er glaubte bedingungslos an dieses System, ordnete dem alles unter.
Sein ältester Sohn Thomas Brasch dagegen hinterfragte das Wie dieses Staates, übte Kritik, wo keine Kritik erwünscht war und eckte entsprechend an. Nach zwei Semestern Journalistikstudium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig wurde er 1965 wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“ exmatrikuliert. Nachdem er während des sogenannten Prager Frühlings 1968 Flugblätter gegen den Einmarsch sowjetischer Truppen in die tschechoslowakische Hauptstadt verteilt hatte, wurde Thomas Brasch verhaftet und verurteilt. Es heißt, dass Horst Brasch seinen Sohn selbst bei der Staatssicherheit, dem DDR-Geheimdienst, verraten haben soll. Doch der bleibt trotz dieser Repressalien stur. 1976 reist Thomas Brasch, der einer der Mitunterzeichner der Resolution gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann war, nach Westberlin aus.
„Ich habe das alles fast atemlos am Radio mitverfolgt“, sagt Carsten Wist, der damals 19 Jahre alt war. Es war die Zeit, in der er, wie er sagt, als Spätzünder mit der Literatur in Berührung kam. Er war gerade bei derArmee, um seinen Wehrdienst zu leisten, und hatte viel Zeit. Zeit, die er zum Lesen nutzte. „Mit Thomas Brasch war da ein Autor, der mir zutiefst aus der Seele sprach.“ Und obwohl Brasch es ihm nicht einfach machte, er von seinem Leser einiges abverlangte, spürte Carsten Wist, dass da einer mit Herzblut schreibt, sich förmlich zerfleischte an seinen Themen. „Wenn man den schlechten Vergleich mit Drogen bemühen will, dann habe ich mit Brasch gleich am Anfang das harte Zeug konsumiert“, sagt Wist und lacht.
Carsten Wist, der nicht einfach nur Buchhändler in Potsdam ist, sondern durch seine Leidenschaft für das geschriebene und gedruckte Wort mittlerweile als eine Art Instanz für Literatur und Lesungen in dieser Stadt gilt, war wie Brasch ein Unangepasster. Doch im Gegensatz zu Thomas Brasch, der durch den Mauerfall 1989 und das Verschwinden der DDR die Reibung verlor, die er als Schriftsteller und Dramatiker so dringend brauchte, war die Wende für ihn die Chance, durch die er aus seiner Leidenschaft für die Literatur eine Berufung machen konnte.
„Ich habe in den vergangenen Monaten viel Thomas Brasch gelesen“, sagt Carsten Wist. Und er hat wieder diese Kraft und das Unbedingte in dessen Texten gespürt. Eine Bedingungslosigkeit, die er jetzt umso schmerzhafter bei vielen jungen Autoren vermisst. Ob Thomas Brasch, der sich in seinem schriftstellerischen Werk vor allem am Generationenkonflikt in der DDR, an diesem spezifischen Gefühl des Eingesperrtseins abgearbeitet hat, vielleicht doch nur ein wichtiger Autor für seine Generation ist, will Carsten Wist nicht gänzlich zurückweisen. „Letztendlich müssen das die Leser von heute entscheiden“, sagt er. Aber er spürt, dass sich über Brasch langsam ein Vergessen legt.
Sein „Fest für Brasch“ ist ein bescheidener Versuch gegen dieses Vergessen. Gleichzeitig aber auch seine anhaltende persönlicheAuseinandersetzung mit einem für ihn so wichtigen Schriftsteller, dessen Abschied nach der Lesung in seinem Laden Carsten Wist immer noch sehr nahe geht. „Als Thomas Brasch starb, war er 56 Jahre alt. Genauso alt wie ich heute“, sagt Carsten Wist.
„Ein Fest für Brasch“ am morgigen Dienstag, 19 Uhr, im Literaturladen Wist, Brandenburger/Ecke Dortustraße. Der Eintritt kostet 5 Euro
Dirk Becker
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