Kultur: Die Endgültigkeit des Abschieds Ingo Schulze las in Wilhelmshorst
Es gibt keine Rückkehr ins Paradies. Auch für Adam nicht, der nie vor hatte, es zu verlassen.
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Es gibt keine Rückkehr ins Paradies. Auch für Adam nicht, der nie vor hatte, es zu verlassen. Doch einmal ertappt beim Seitensprung, folgt Adam seiner Evelyn nach Ungarn, weil er sie nicht verlieren will. Evelyn, von Adam enttäuscht, will die Gelegenheit nutzen, in diesem Spätsommer des Jahres 1989 in den Westen zu gehen. Evelyn erscheint er wie ein Paradies. Doch was beide finden, ist vor allem Fremdheit. Als Adam im November durch die geöffnete Mauer zurück in seine Heimatkleinstadt kehrt, findet er sein Haus, sein Paradies, verwüstet und geplündert.
Adams Gang durch sein verwüstetes Haus gehört zu den bedrückendsten Szenen in Ingo Schulzes Roman „Adam und Evelyn“. Am Dienstag war Schulze auf Einladung von Lutz Seiler in das Wilhelmshorster Huchelhaus gekommen, um aus seinem aktuellen Roman zu lesen, der als einer von sechs für den Deutschen Buchpreis nominiert ist. Darunter auch das Kapitel über Adams missglückte Rückkehr. Schulze thematisiert in „Adam und Evelyn“, mit vielen Anspielungen auf den biblischen Sündenfall und der Vertreibung aus dem Paradies, den fast unmenschlichen Zustand im Vagen und die Gnadenlosigkeit der Entscheidung, alles hinter sich zu lassen und im Westen ein neues Leben zu beginnen. Einen Großteil des Romans machen Dialoge aus, in deren Leichtigkeit und gelegentlicher Beiläufigkeit oft mehr zum Ausdruck kommt, als es seitenweise Analysen schaffen.
Es gehe ihm in seinen Büchern um wechselnde Abhängigkeiten, die der politische Umschwung mit sich gebracht habe, sagte Schulze im anschließenden Gespräch mit Lutz Seiler. Aus den ideologischen Abhängigkeiten in der DDR seien ökonomische in der BRD geworden. Wie der Mensch damit umgehe, darauf reagiere, das sei interessant. Dass ihm dabei immer wieder vorgeworfen werde, er würde die DDR als eine Art Idylle darstellen, kann ihn nur verwundern. „Ich schenke diesem Staat in meinen Büchern überhaupt nichts“, sagte Schulze. Und wer seine Romane und Erzählungen nur etwas genauer liest, kann ihm da nur zustimmen.
Als das Gespräch zwischen Seiler und Schulze im ausverkauften Huchelhaus Gefahr lief, zu sehr zu einem Werkstattgespräch zwischen zwei Schriftstellern zu werden, sich Seiler nach Schulzes Arbeitstechniken bei seinen Dialogen erkundigte, war es Schulze selbst, der es vermochte, auch dieses Thema für die Gäste humorvoll nachvollziehbar zu machen. Bei Hemingway, der als begnadeter Dialogautor gilt, habe er sich das abgeschaut, in dem er regelrecht Zeilen gezählt hat und es genauso machte. Mit Dialogen beziehe man Positionen, es dürfe nie darum gehen, mit deren Hilfe etwas aussagen zu wollen. Am Anfang sei das immer mit Qual und Selbstzweifeln verbunden. Ab einem bestimmten Punkt aber spüre er, dass sie glaubwürdig sind, eine Art Eigenleben zu führen beginnen.
In „Adam und Evelyn“ erlebt der Leser vieler solcher Momente. Dirk Becker
Ingo Schulze: Adam und Evelyn. Roman. Berlin-Verlag, 18 Euro
Dirk Becker
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