
© Manfred Thomas
Kultur: Die Entdeckung des Himmels
Auftakt des 13. Festes der Neuen Musik „Intersonanzen“ mit Seeblasen und israelischer Klangpoesie
Stand:
„Es singt ein jeder von uns einen Ton ins Universum hinaus, und das Universum antwortet uns in derselben Tonart“, notierte Paul Brunton einst, man kennt ihn. Offenbar unterhält besagtes „All“ dann auch ein ganz passabeles Magazin für Atonales, Dissonantes, für höhere Tonleitern als die meistgebrauchte. Dieses Zitat könnte nun auch über der jüngsten Ausgabe der „Intersonanzen“ stehen, dem inzwischen 13. Fest der Neuen Musik in Potsdam.
Ihr etwas verkryptisiertes Motto heißt diesmal „Synchronie Musik plus“, da stelle sich einer etwas drunter vor. Doch Entwarnung! Ein berufener Mund bestätigte, dass der ausrichtende Brandenburgische Verein Neue Musik mit diesem Thema en vogue ist, weltweit entdecke die neue Musik derzeit den Wert von Melodie, Liedfolge und Harmonie, also quasi den Himmel – plus seine synchrone Antwort.
Man hörte an diesem Wochenende im Veranstaltungsort fabrik ja nicht nur einmal, wie die von Arnold Schönberg und Vorgängern begründete „revolutionäre“ Tontechnik plötzlich die Verbindung zum Wohlgefügten sucht, und findet, wie die vielgeschmähte „Neue Musik“ trotz ihres unkulinarischen Trotzes auf einmal hör- und verstehbar wird. Und wie die 13. „Intersonanzen“ deutlich mehr Publikum anzogen als in den Jahren davor. Zusammen mit der am Freitag gegebenen Zusage des Kultusministeriums, dieses „Fest der Neuen Musik“ auch im kommenden Jahr finanziell und moralisch zu unterstützen, waren dies der frohen Botschaften doch schon mal sehr viel. Es lag also an den Veranstaltern, den genehmigten Rahmen nun auch mit Inhalt, mit Leben zu füllen.
Da war auch diesmal kein Mangel, weder an Uraufführungen noch an neuen Ideen wie das „Blasen von Wasser zu Land“ am Tiefen See am Samstag, der Versuch, die neue Musik dem modernen Tanz auszuliefern, und der Fundus, den das Gastland Israel behufs des Ensembles Meitar (Tel Aviv) ins Geschehen einbrachte. Schön auch, dass dieses Fest trotz großer Gastlichkeit zuerst ein Podium für die heimische Klangwelt blieb, dafür mögen Hubert Kross, Gisbert Näther, Michael Schenk von den Machern, die Junge Philharmonie Brandenburg und das Ensemble Junge Musik für die Ausführenden stehen; Letzteres gab am Freitagabend unter der Leitung von Helmut Zapf ein exzellentes Konzert mit Werken von Taymur Streng Siegfried Matthus, Friedrich Schenker, Hermann Keller und anderen.
Da wehte öfter mal ein frischer Wind über die Bühne, in „Aiolos“ (Hubert Kross) oder beim sorbischen Sturmgeist „Wichar“ von Ulrich Pogoda, dem Lausitzer. Natürlich stellte sich angesichts eines unübersehbaren Vorrats an Erschöpftem und Neuschöpfung bald die Gretchenfrage: Alles ist irgendwie Musik – aber was ist Kunst? Synchronisch gesehen haben sich die Tonsetzer vielleicht ein wenig vom bisherigen Standard des reinen Experiments entfernt: Wie viele Varianten des dramaturgischen Musters „Einheit wird in ihre Einzelteile zerlegt, die wieder nach ihrer Einheit suchen“ – oder umgekehrt – mag es wohl geben? Das hörte man bei den 13. „Intersonanzen“ natürlich auch, aber diesmal schien der Ton leiser zu sein, die Tempi langsamer, die Grundstimmung einen Hauch heiterer. Beim Seeblasen sicherlich nicht, in den Kompositionen von Thomas Gerwin, Ralf Hoyer und anderen regierten eher düstere Akkorde.
Dafür korrespondierten die beiden Bläsergruppen der Hochschule „Hanns Eisler“ zu Lande und zu Wasser ziemlich gut, es fehlte nur das publikumsfreundliche Augenzwinkern. Heiter ging es eher bei Ruben Seroussis Hommage an Luis Buñuels Film vom diskreten Charme der Bourgeoisie zu, doch um die charmante Schöpfung für Klavier, Viola, Klarinette ganz zu fassen, müsste man wohl selbst ein Surrealist sein. Albert Breier mit „Schmaler Weg durch Dämmerung“, chinesisch inspiriert, hingegen eher ein Langweiler ohne Höhen und Tiefen.
Das Leichteste und Schönste kam sicherlich von Meitar, die poetische Chaccone „Zedekiahs Tears“ von Peter Köszeghy, einem Höhlensystem unter Jerusalem nachempfunden. Höhliges hörte man schon bei Andreas F. Staffels „Centaur“ für präpariertes Klavier, und in Alex Nowitzens „Labyrinth“, einem Werk für Dunkelheit und acht Lautsprecher, daraus das böse Schnauben und Schniefen, Röhren und Schmatzen des alten Minotauros laut getönt zu hören war. Danach wurde eine Choreografie mit Potsdamer Tänzern zu Klängen von Thomas Gerwein gegeben. Viel Produktives und Schönes – wenig Schrilles diesmal. Ein Fest also, dessen Plus die synchrone Antwort aus dem Universum gewesen sein muss.
Gerold Paul
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