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Kultur: Die Erkundung der Einsamkeit

Der kanadische Choreograf Daniel Léveillé bringt heute und morgen fünf Soli zu Bachs Violinsonaten auf die Bühne der „fabrik

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Die Hände gehen langsam aufeinander zu, legen sich sanft übereinander, verschmelzen zu einem kraftvollen Ganzen. Daniel Léveillé malt mit seinen beredten Gesten die eigene Arbeitsweise nach. In seiner neuen Choreografie sollen sich Tanz und Musik wie seine Hände aneianderschmiegen . Fünf Soli zu den Violinsonaten von Johann Sebastian Bach bringt er am heutigen Freitag als Vorpremiere auf die Bühne der „fabrik“. Allesamt kreisen um ein großes Thema: um das eigene Ich des fast 60-jährigen Choreografen. In der Interpretation von fünf jungen Tänzern soll die eigene Stimme etwas Universelleres erhalten. Die fünffache Spiegelung nimmt sich vor allem der Einsamkeit an, mit der Daniel Léveillé keineswegs hadert. „Innerhalb eines Lebens gibt es immer wieder Phasen der Einsamkeit, eine Zeit als Vorbereitung auf die Begegnung. Es kann sehr hart sein, dieses Zurückgeworfensein auf sich selbst, das sich Infragestellen. Aber man kann sich in dieser Zeit auch etwas gönnen, für sich selbst etwas tun“, so der international bekannte Tanzpoet.

Warum geht er gerade mit Bach auf seiEinsamkeitserkundung? „Bach kam erst später dazu“, sagt Léveillé. Erst einmal komponierte er seine Choreografie ohne Musik: hinein in die Stille, die für ihn so erfüllt sein kann. Erst danach schaute er, welcher Komponist diese Stille untermalen könnte. Dass er sich für Bachs sechs Violinsonaten und Partiten entschied, habe an dem einfachen Grundmotiv der Kompositionen gelegen, das erst in seiner Wiederholung kompliziert werde. Der Choreograf griff zu Auszügen aus der ersten und zweiten Sonate, „nichts Expressionistisches oder Romantisches, sondern etwas sehr Klares“, wie er sagt, und das sich nun mehr und mehr mit dem Tanz verzahnt. Der Kanadier vergleicht seine Arbeitsweise mit dem Buch „Der Liebhaber“ von Marguerite Duras, einem Roman mit wenig Worten und einfachem Schreibstil, der aber die ganze Welt beinhalte.

Schnelle kurze Sequenzen, eine Aneinanderreihung abgehackter Momente – das ist die Handschrift des erfahrenen Virtuosen, dessen Stücke zu den Klassikern der kanadischen Tanzszene gehören. „Als ich anfing, als Choreograf zu arbeiten, war alles in mir hoch emotional, sehr expressionistisch. Mein Hormonpegel war ganz oben.“ Mit 30 wollte er sogar mit dem Tanz aufhören, befand sich er in einer tiefen Sinnkrise. Inzwischen ruht er in sich, sieht die Welt mit etwas Abstand und gelassenem Blick. „Auch wenn wir uns gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit befinden und Bach nicht zufällig in allen Kunstgattungen Hochkonjunktur hat. Dieser Zeit ist mit der Leichtigkeit Mozarts nicht beizukommen. Da braucht es die Intensität und Mehrschichtigkeit eines Bachs.“ Doch selbst wenn die Krise auch Kanada erreichen und es kein Geld mehr für Tanz geben würde, wäre es für ihn keine Katastrophe. „Dann verlege ich mich eben noch stärker aufs Malen.“

Noch aber kann er sich ganz entspannt mit den getanzten Soli zu Bach beschäftigen, mit dem Beginn einer neuen Serie. Auf die Einsamkeit könnte das Thema Begegnung folgen, „danach vielleicht eine Orgie“, sagt er lachend. „Oder die Gesellschaft. Ich weiß es nicht“.

Er braucht sieben Jahre, um eine Periode bis zum ausgereiften Ende zu leben. Und um das Dazwischen aufzuspüren, das sich Sammeln, Losspringen, Ausgleiten und wieder Auftauchen, wie beim Turmspringen. Über 20 Jahre unterrichtete Daniel Léveillé an der Hochschule in Montreal Tanz und Choreografie. Er weiß, wie man die Körpersprache präzise auf den Punkt bringt. Und doch setzt er während seiner Proben vor allem auf Spontanität. So wie in den gerade absolvierten Residenzen in Lyon, Münster und jetzt in Potsdam. Er bereitet nicht viel vor, schaut dafür lange am Rande zu, wie sich die Tänzer erwärmen und welche Stimmung dabei entsteht. Dann tritt er in den Kreis, macht eine kleine Geste – und wartet auf die Antwort. Choreografie als Körperdialog. Mit Bach als leisen, aufmerksamen Begleiter. Heidi Jäger

Vorpremiere am heutigen Freitag sowie morgigen Samstag, 28. April, jeweils 20 Uhr, fabrik, Schiffbauergasse, Karten unter Tel. (0331)240923, an Abendkasse 14 Euro

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