Kultur: Die Fantasien werden beflügelt
Filmklassiker vorgestellt: „Schatten“ mit Alexander Granach / Von Guido Altendorf
Stand:
Vor allem Babelsberger Filmgeschichte wird im Filmmuseum Potsdam gehegt und gepflegt. Das heißt, die vielfältigen Dokumente, Kostüme, Technik, Nachlässe werden gesammelt und dem Publikum präsentiert. Natürlich kommen cineastische Kostbarkeiten zur Aufführung. In unserer Serie „Filmklassiker vorgestellt“ machen wir heute mit dem Stummfilm „Schatten“ bekannt.
Alles, was mit dem deutschen Kino der „Goldenen Zwanziger“ assoziiert wird, findet sich in „Schatten": große Gesten, expressive Lichtgestaltung, labyrinthartige Architektur, Albträume, Psychoanalyse und vor allem: die vielbeschworene sexuelle Freizügigkeit.
Ein Schausteller - Anverwandter des legendären Dr. Caligari? – unterhält mit Schattenspielen ein Ehepaar und vier Verehrer der Frau. Unter seinem Einfluss durchleben sie eine Nacht voller Sex und Gewalt. In Andeutungen, aber auch immer wieder überraschend offen, wird von Begierde, pathologischer Eifersucht und Mord erzählt.
Filmtheoretiker Siegfried Kracauer bezeichnet „Schatten“ (Regie: Artur Robison) als „Triebfilm“, seine Kollegin Lotte Eisner als „den erotischsten Film, den sie je sah“. Das Geschehen in Worte zu fassen, ist selbst heutzutage skandalös. Auch der Stummfilm selbst verzichtet darauf und enthält keinen einzigen Zwischentitel. Dafür sind die Bilder umso vielsagender und beflügeln die Fantasien des Betrachters:
Wenn der Ehemann dem Verehrer seiner Frau seinen langen Säbel zeigt, ist das mehr als die Androhung von Gewalt. Es ist eine Potenzprobe, denn der Galan kann nur mit einen zarten Florett aufwarten. In wilder Eifersucht läßt der Mann die Gattin fesseln. Der beauftragte Diener empfindet dabei höchstes Entzücken. Schlussendlich wird die Wehrlose auf die Abendtafel geworfen, quasi als Dessert, das die Nebenbuhler zwar betrachten können, von dem aber nur der Hausherr naschen darf. Um dem grausigen Spiel ein Ende zu bereiten – oder aus Wollust – stürzt sie sich in die Degen ihrer Verehrer. Der Ehemann zieht mit seinem Säbel gebrochen von dannen.
Am Ende stellt sich alles als Spuk heraus, aber im Bann des Hypnotiseurs haben die Filmfiguren ausgelebt, was unter der Oberfläche gesellschaftlicher Regeln gärt und möglicherweise auch das Kinopublikum umtreibt. Am Morgen nach dem Albtraum verabschiedet sich die Ehefrau vom Gaukler, als würde sie sich bei einem Psychiater bedanken. Mit einem wissenden Lachen reitet er auf einem Schwein davon ...
Den Hexer spielt Alexander Granach: flink, ironisch und pfiffig. Der Film, begleitet an der Welte-Kinoorgel von Helmut Schulte, und eine Lesung erinnern an den großen Darsteller. Granach war Star in Max Reinhardts Deutschem Theater und wurde wie viele seiner Kollegen 1933 in die Emigration gezwungen. Aus den USA schrieb er seiner geliebten Frau Lotte Briefe, die vom Leben im Exil, den Entbehrungen und der Sehnsucht nach Deutschland sprechen. Der Film wird anlässlich der Eröffnung des 15. Jewish Film Festivals Berlin und Potsdam gezeigt.
Vor der Aufführung von „Schatten“ liest der Schauspieler Christian Steyer aus den Briefen Alexander Granachs.
Lesung und Film morgen um 19 Uhr um Filmmuseum /Der Autor des Beitrages, Guido Altendorf, ist Filmhistoriker
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: