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Kultur: Die ganz persönliche Erinnerung

„Der Fall Strittmatter“ – Eine oftmals richtungslose Debatte in Potsdam

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Die Erregung blieb aus. Auch die absurde Frage, ob nun, nachdem bekannt geworden ist, dass der DDR-Schriftsteller Erwin Strittmatter (1912-1994) über seine wahre militärische Vergangenheit im Zweiten Weltkrieg geschwiegen hat, seine Bücher aus dem heimischen Regal verbannt werden müssten, wurde nicht gestellt. Bei der Diskussionsveranstaltung „Der Fall Strittmatter – Die Folgen einer Enthüllung. Die Debatte in Potsdam“ am Mittwochabend im ausverkauften Kutschstall, galt der gemäßigte Unmut im überwiegend älteren Publikum allein dem Literaturwissenschaftler Werner Liersch.

Liersch hatte im vergangenen Sommer in einem ausführlichen Beitrag in der „FAS“ aufgedeckt, dass Strittmatter von 1941 an in einem der berüchtigten Polizeibataillone gedient und dies bis zu seinem Tod verschwiegen hatte. Auch wenn, wie von Strittmatter behauptet, er nur Bataillonsschreiber war, muss er, so haben nachfolgende Forschungen ergeben, genaue Kenntnisse vom Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Juden gehabt haben. Denn diese Polizeibataillone waren „an Brennpunkten des rasseideologischen Vernichtungskrieges eingesetzt“, wie der Potsdamer Militärhistoriker Bernhard Kroener den PNN in einem Interview gesagt hatte.

Liersch wollte bei der Diskussion am Mittwochabend, zu der neben dem Militärhistoriker Bernhard Kroener auch die Autorin und Literaturredakteurin beim „Neuen Deutschland“, Irmtraud Gutschke, eingeladen waren, den Fokus nicht allein auf den sogenannten „Fall Strittmatter“ richten. Ihm gehe es vor allem darum, wie heute mit dieser Erinnerung umgegangen werde. Einen kritischen Umgang wünscht sich Liersch. Diesen hätte er sich auch von Strittmatter gewünscht. Nur wurde nicht ganz klar, in welcher Form er diesen kritischen Umgang mit der eigenen Vergangenheit von dem Schriftsteller gewünscht hätte.

So sprach Liersch zwar davon, dass zwischen dem Autor und seinem literarischen Werk eindeutig zu unterscheiden sei, beklagte dann aber eine autobiografische Episode in Strittmatters Literatur, die dieser seiner Meinung nach so nicht hätte niedergeschrieben werden dürfen, weil dieser das ganz anders erlebt haben muss. Auch wenn die Erregung des Literaturwissenschaftlers nachvollziehbar erscheint, er kann sich bei seinen Vorwürfen nur auf Spekulationen und Vermutungen berufen. Doch scheinbar nimmt er diese als unumstößliche Fakten wahr und versucht nun, Strittmatter zur Verantwortung zu ziehen. So wurde ihm aus dem Publikum mehrfach Selbstgerechtigkeit vorgeworfen und nicht zu Unrecht die Frage gestellt, ob er Strittmatter vorwerfe, dieser habe nicht die Bücher geschrieben, die er, Liersch, von ihm bei dieser militärischen Vergangenheit erwartet hätte.

Es war der Historiker Kroener, der in dieser oftmals richtungslosen Debatte Akzente zu setzen wusste. Erinnerung sei immer abhängig von der persönlichen Sozialisation. Wie für die meisten im Publikum Erwin Strittmatter, war für ihn Günter Grass ein Autor, der ihn stark geprägt habe. Als Grass im August 2006 bekannte, dass er sich als 17-Jähriger freiwillig zur Waffen-SS gemeldet habe, sei auch er, Kroener, davon zutiefst betroffen gewesen, vor allem weil Grass sich zeitlebens als moralisches Gewissen gab und sich über jeden „braunen Fussel“ erregte. „Dieser Schriftsteller war so wichtig für meine Entwicklung, dass die Kritik an seiner Person auch mich persönlich traf“, sagte Kroener. Der Applaus zeigte, dass er damit vielen im Publikum aus der Seele zu sprechen schien. Dirk Becker

Dirk Becker

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