Kultur: Die Geometrie der Stadt Potsdam „Arche“-Vortrag von Olaf Thiede
Wer die Größe des Stadtschlosses nachempfinden will, sollte sich auf die Mopke stellen, den Platz zwischen Neuem Palais und den Communs. Dies empfiehlt der Potsdamer Maler und Graphiker Olaf Thiede.
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Wer die Größe des Stadtschlosses nachempfinden will, sollte sich auf die Mopke stellen, den Platz zwischen Neuem Palais und den Communs. Dies empfiehlt der Potsdamer Maler und Graphiker Olaf Thiede. Der Platz entspreche mit 35 Preußischen Ruthen (131,82 m) Seitenlänge nämlich den Maßen des Schlossgevierts, die u.a. auch für den Luisenplatz und den Innenhof des Waisenhauskarrees herangezogen worden seien.
Thiede stellte am Dienstagabend in der „arche“ am Bassinplatz „Die Geometrie der Stadt Potdam“ vor. Er geht (mit dem Gartenhistoriker Jörg Wacker) davon aus, dass das Grundmaß des Stadtschlosses prägend für das gesamte Stadtbild war. In kleinere Quadrate, Dreiecke und andere geometrische Formen aufgeteilt, bestimmten sie die Karrees der Stadterweiterungen unter dem Soldatenkönig, Straßenverlauf, Fläche und Höhe der Gebäude, die Gliederung der Fassaden, die Zahl der Fensterachsen ... Auch den für solche auf das Schloss bezogenen typischen „barocken Dreistrahl“, der in Potsdam zu fehlen schien, hat er entdeckt. Der mittlere verläuft über das Stadtschloss nach Norden, die beiden anderen jeweils im Winkel von 20 Grad Richtung Jägerallee bzw. Berliner Straße. Der Laie wird sie heute im Stadtbild allerdings kaum erkennen können.
Dass Residenzstädte auf das Schloss des Herschers bezogen wurden und eine Bebauung in geometrischen Formen erhielten, war typisch für den Barock. Neu ist, wenn Olaf Thiede diese Praxis bis über das Jahr 1900 hinaus gewahrt sehen will. Dagegen hatte Prof. Friedrich Mielke in seiner „Potsdamer Baukunst“ festgestellt, dass die „wechselseitige Beeinflussung von Ortsplan und Schlossanlage ... ab 1744 beendet“ wurde. Dem widersprechen die neuen Erkenntnisse von Thiede/Wacker. Keinen Dissens gibt es wohl in der Feststellung, dass vom Schloss bis zum letzten bescheidenen Bürgerhaus, ja den Stallungen an der Stadtmauer die architektonischen Formen aufeinander abgestimmt waren und alle städtebaulich relevanten Punkte in Beziehung standen, so auch der Dreiklang der an einer Achse angeordneten Heiligengeist-, Stadt- und Garnisonkirche. Deshalb war (ist?) Potsdam keine Ansammlung von Gebäuden, sondern ein städtebauliches Gesamtkunstwerk.
Dies sei durch die Baupolitik der folgenden Jahrzehnte missachtet worden, meint Thiede und führte sein Publikum in die Urgründe der teils mit mystischen Vorstellungen verbundenen Mengenlehre der Antike, die auch die Architektur bestimmte. Damals sei die Eins (der Kreis, das Quadrat) die größte Menge gewesen, aus der durch Teilung kleinere Mengen und geometrische Formen abgeleitet wurden. Dieses ganzheitliche Denken sei verloren gegangen. Heute stelle die Eins den Ausgangspunkt dar, von dem aus linear ein Ziel angestrebt werde. Ausschlaggebend seien die Funktion und die Wirtschaftlichkeit des einzelnen Gebäudes geworden. Thiede zeigte dazu Beispiele von Baumärkten und Autohäusern und ließ auch eine Computeradaption nicht aus, wie abstoßend Schloss Sanssouci in dieser Bauweise aussehen würde.
Das Ganze wirkte wie eine Absage an die moderne Architektur, jedenfalls was Potsdam betrifft und inbesondere den Stadtschloss-/Landtagsbau am Alten Markt. Man darf spekulieren, ob die Forschungsergebnisse von Olaf Thiede und Jörg Wacker das Ohr der Bauherren erreichen. Erhart Hohenstein
Erhart Hohenstein
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