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Kultur: Die Geschichte der Täter aufspüren

Ines Geipel las im Frauenzentrum aus ihrem neuen Manuskript „Amokkomplex“

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Sie lächelte abwartend, die drahtigen Beine übereinandergeschlagen. Gerade hatte Ines Geipel, Jahrgang 1960, geboren in Dresden und ehemalige Hochleistungssportlerin der DDR, ihre Erzählung über die Wüste und den endlos vorwärts strebenden Zug einer Meute wilder Hunde beendet. Die Geschichte, erzählt von einer Figur, die sich, ähnlich einem Parasiten, unter den Bauch eines der Hunde geklemmt hatte und später von Tier zu Tier weitergereicht und auch durchdrungen werden wird, schien ebenso abstrakt und metaphorisch wie gegenständlich zu sein. Sie hatte erst einmal Ratlosigkeit bei den Gästen hinterlassen, die an diesem Abend ins Frauenzentrum gekommen waren, um die heute als Schriftstellerin und kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Ines Geipel aus ihren Texten lesen zu hören.

Diese Texte sind ebenso zahl- wie facettenreich und umfassen Exkurse über das Phänomen des Amoklaufs ebenso wie die Auseinandersetzung mit vergessenen und verhinderten Schriftstellern der DDR, Gedichte oder Prosa.

Diese Metamorphose von der körperlichen zur geistigen Produktivität wählte die Gastgeberin des Abends, Germanistin und Kulturreferentin des Frauenzentrums, Elke Liebs, auch als Einstieg, um für die ein Dutzend Anwesenden den Werdegang der mittlerweile studierten Philosophin und Soziologin und immer wieder heiß diskutierten Autorin zu skizzieren. Sie stellte vor allem ihre Einmischungen in Ungerechtigkeiten und ihre Fähigkeit, Dinge in Gang zu bringen, in den Vordergrund und hinterfragte die Motivation Ines Geipels, stets solche Hitzigkeiten zu entfachen.

Diese ist etwas verwundert über die aufgeregten Lesarten ihrer Kritiker. Das sei nicht ihre Absicht, erklärte sie. Sie würde sich bei ihren Themen einfach immer die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz stellen, und daraus ergäben sich dann ihre Geschichten.

Sie begleitete ihre Ausführungen lebhaft mit den Händen, blieb aber stimmlich sehr ruhig, gelassen und selbstsicher. Und so brachte sie auch die anfängliche Ratlosigkeit der Gäste, ihren ersten gelesenen Text betreffend, nicht aus der Ruhe. Ihr stilles Lächeln provozierte unter den Anwesenden ein Gespräch über die unterschiedlichen Lesarten und sie selbst warf nur eine ganz knappe, vage Deutung in den Raum, die vor allem mit der eigenen nicht glücken wollenden Entfaltung in einem diktatorischen System zusammengefasst werden kann.

Wesentlich gegenständlicher war dann der im Anschluss vorgetragene Prolog ihres sich gerade in Arbeit befindenden Buches „Amokkomplex“. Dieses Textstück hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt noch niemanden lesen lassen und so würden die Gäste des Frauenhauses die ersten kritischen Ohren sein. In dem Buch spürt die Autorin der Geschichte eines 29-jährigen australischen Amokläufers nach, der 1996 in Port Arthur 35 Menschen erschossen hatte. Das Buch, das noch vier weitere Amoklauffälle aufarbeiten wird, hat vor allem ein Anliegen: Die politische Herangehensweise, Geschehen dieser Art als „vom Himmel gefallene“ Phänomene abzutun, zu kritisieren. Ines Geipel plädiert dafür, die Ursachen der Taten aufzuspüren, die Herkunftsgeschichte der Täter und deren Umfeld auszuloten und nach Lösungen zu suchen. Hier ist es vor allem die Waffenlobby, die der Schriftstellerin ein Dorn im Auge ist.

Andrea Schneider

Andrea Schneider

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