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Kultur: Die Gitarrengolfer

Julien Fournet: Kein Tänzer, sondern Konstrukteur

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Wer glaubt, dass ein Staubsauger nur zum Saubermachen geeignet ist, der irrt. Sein Schlauch lässt sich auch bestens als flexibles Kabel für Degenfechter verwenden. Und Gitarrenhälse sind auch nicht nur dazu da, um auf ihnen schöne Melodien zu zupfen. Man kann sie trefflich als Golfschläger verwenden, wobei die Bälle dann doch eher Fußballformat haben sollten. Julien Fournet spingt gleich mal im „fabrik“-Café vom Stuhl, um mit seiner „Luftgitarre“ zu demonstrieren, wie sich so ein sportliches Match zwischen dem tiefen und hohen „E“ anfühlen könnte.

Heute Abend steht er dann mit seinem französischen Landsmann Antoine Defoort mit einer richtigen Gitarre und allerlei selbst konstruiertem Instrumentarium auf der Bühne, um ihrem Pferd die Sporen zu geben. „Cheval“ (Pferd) heißt nämlich ihr Stück und offensichtlich scheinen sich dafür zwei galoppierende Warmblütler gefunden zu haben. So gibt es ein Duell, wer am längsten den Ball in der Luft jonglieren kann und auch beim Bespringen des Klaviers legen sich beide ins Zeug.

Die Pferde gehen offensichtlich ganz nach Plan mit ihnen durch. Sie sind zwei Tüftler, die ihre Erfindungen mit stolz geschwellter Brust präsentieren. Denn eigentlich sei „Cheval“ gar kein Tanzstück, sagt Julien Fournet. Aber immer wieder werden die beiden zu Tanzfestivals eingeladen. Wie jetzt nach Potsdam. Das freut ihn besonders, denn so kann er gleich mal seinen Bruder besuchen, der hier die große Liebe gefunden hat. „Und mich zum achten Mal zum Onkel machte“, sagte der 32-Jährige Julien stolz über den Nachwuchs der drei Geschwister, während er sich selbst noch ungebunden durch die Welt schlägt.

Derzeit lebt er in Brüssel, weil dort in der Kunst-Finanzierung die Genregrenzen nicht so starr gezogen werden wie in Frankreich. Und um Auflösung von Grenzen geht es ja auch in „Cheval“, wo Objekte ihrer einengenden Bestimmtheit entledigt und verfremdet werden. Das ist verrückt und erfrischend, wie eine Videosequenz schon mal neugierig macht.

Es geht den Performern aber auch um die Musikalität in dieser Welt, um Geräusche, die durch das Leben entstehen. Der Diktatur der Musik nach Noten sagen sie den Kampf an, obwohl sie Schuberts „Der Tod und das Mädchen“ und Pergolesis „Stabat mater“ vorspielen werden – partiturgetreu, aber auf ihre Weise. Da wird eine Blockflöte zur Nasenflöte, ein Boxsack zum Schlagzeug. Alles passiert live und durchaus mit doppeltem Boden. Doch der Zuschauer wird zum Mitwisser. Dieser Bezug ist dem studierten Philosoph sehr wichtig. Für ihn war die Geisteswissenschaft immer ganz praktisch. „Sie erzählt, wie man lebt.“ Und der Franzose, der fünf Jahre in Lille ein Kulturhaus managte, lebt jetzt zumeist als Produktionsleiter von Kunstprojekten. Und steht nun in „Cheval“ auch das erste Mal auf der Bühne. Nicht als Tänzer, nicht als Schauspieler. „Als Konstrukteur“, wie er sagt, der vielseitig verwendbare Werkzeuge herstellt. Und mit ihnen kein Chaos, nein, eine wissenschaftliche Unnordnung hinterlässt. Heidi Jäger

Heute und morgen, 20 Uhr, T-Werk

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