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Kultur: „Die graue Energie erhalten“

Der Architekt Arno Brandlhuber über seine Anti-Villa in Krampnitz und über nachhaltiges Bauen

Stand:

Herr Brandlhuber, Sie haben in Krampnitz postmoderne Architektur realisiert, Ihr Gebäude wurde oft als Anti-Villa bezeichnet. Wie stehen Sie selbst zu dem Begriff?

Der Begriff resultierte ursprünglich aus der Grundstücksgröße von circa fünfhundert Quadratmetern, was einer, wenn man so will, klassischen Grundstücksgröße einer Villa in Sacrow oder am Heiligen See entspricht. Wenn man es allerdings wie hier wenig ausbaut, also beinahe roh lässt und nur mit den nötigsten Haushaltsgeräten bestückt, ist es natürlich das genaue Gegenteil davon. Spannend war, dem zuvor hässlichen Gebäude nicht nur auf der ästhetischen Ebene ein neues Bild zu verleihen, sondern über die Nutzung durch mehrere und unterschiedliche Leute eine neue Lesart mitzugeben.

Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen?

Irgendwann hieß es, eine Büstenhalterfabrik am See sei zu verkaufen. Es stellte sich dann aber heraus, dass es sich um eine Trikotagenfabrik handelte. Zwei durchaus zwielichtige Gestalten hatten den VEB Ernst Lück Wittstock von der Treuhand übernommen, um im Wesentlichen die Fördermittel abzuschöpfen und das Grundstück in Bauland für Einfamilienhäuser umzuwandeln. Sie waren dann aber so zerstritten, dass wir die Situation aufgegriffen haben. Uns erschien wichtig, keine Appartements daraus zu machen, sondern mit relativ wenig Aufwand den Produktionsstandort und den kulturellen Nutzungseffekt zu erhalten.

Sie wollten auch den „armen“ DDR-Look erhalten?

Es gab zunächst den Bestand, bei dem schon in der Herstellung viel Energie eingeflossen war, weshalb es aus unserer Sicht Sinn machte, den vorgefundenen Bestand zu erhalten. Nicht das mit Asbest verseuchte Wellblechdach, das musste weg. Aber zum Beispiel den Kratzputz, der im Osten häufiger war als im Westen. Die Frage bei einem solchen Projekt ist dann immer: Was kann das Gebäude schon, welche Informationen bringt es mit? Und was muss man tun, damit es besser funktioniert? Interessant war gerade, etwas von der Geschichte zu bewahren und nicht bis zur Auslöschung mit anderen Ideen zu überformen. Einen Konflikt gab es bei den vielen kleinen Fenstern, die aber wiederum die Möglichkeit boten, bei dem wahnsinnig schönen Drumherum zu entscheiden, wo man hinausschauen will, um die Fenster einem Happening mit Freunden und Vorschlaghämmern entsprechend zu vergrößern.

Der nichteingeweihte Betrachter würde kaum eine ökobewusste Bauweise dahinter vermuten. Was ist an diesem Gebäude nachhaltig?

Wenn wir dazu kämen, dass die Energieeinsparverordnung nicht ausschließlich auf den Jahresenergieverbrauch abstellt, sondern den Gesamtenergieverbrauch bilanzieren würden, das heißt all die Energien einbezieht, die bei der Erzeugung der ehemals verwendeten Baustoffe und Kapitalbildung eingeflossen sind, so hätte man diese Energien, wenn man den Bestand vom Grund her belässt, schon einmal gespart. Entsprechend fallen keine Abriss- und Recyclingenergien und nur geringe für neue Materialien und die Finanzierung an, sodass ich glaube, dass es per se nachhaltig ist. Ökobewusstsein muss nicht zwangsläufig mit Holz und Grün – dem sogenannten Greenwashing – in Zusammenhang gebracht werden. Eine klassische Wärmedämmung hätte das Gebäude erstens nicht schöner gemacht. Zweitens sind die jetzt verwendeten Dämmstoffe zwanzig Jahre später Sondermüll und kaum recycelbar.

Wie haben Sie im Detail ökologisch gebaut?

Wir haben uns für eine Dämmung des Daches aus aufgespritzten Steinschaum entschieden, einen sehr atmungsaktiven Werkstoff. Die Wände sind geblieben. Weil eine Wärmepumpe mit einhundert Meter Tiefe nicht ausreicht, verkleinern wir im Winter durch ein isolierendes Vorhangsystem die Wohnfläche und bringen nur so viel Heizenergie ein, wie durch die Energieeinsparverordnung zulässig ist. Wir haben zwei Klimazonen, eine warme und eine etwas kühlere, was auch mehr einer traditionellen Lebensart auf dem Land entspricht. So wie früher bei den Großeltern, wo meistenteils nur die Küche beheizt wurde und sich darüber die Schlafstube befand. Das heißt: Die Vorstellung, das ganze Etagenvolumen im Winter im T-Shirt zu bewohnen, wird obsolet. Vielleicht fängt die Nachhaltigkeitsdebatte bei der Veränderung der eigenen Gewohnheiten an. Es genügt auch mal ein dicker Pullover.

Kapitalismuskritik und Architektur? Passt das bei Ihnen zusammen oder empfinden Sie das als dumme, unpräzise Schublade?

Ungefiltert und mit Blick auf das Schengen-Abkommen betrachtet, scheint mir die Differenzbildung zwischen uns, denen es besser geht, und jenen, die mehr zu leiden haben, immer weniger Sinn zu machen. Genauso die Bewaffnung mit Eigentumsrechten. Nachfolgemodelle von kollektivem Eigentum wie Erbbaurechte wären vielleicht besser geeignet, Verteilungsfragen zu klären. Andererseits operieren wir bei diesem Gebäude hier nach wie vor mit Eigentum, selbst wenn es mehrere Nutzer gibt und die Mieten geringer ausfallen. Die Freiheit und der Luxus, die wir uns hier leisten, besteht schlicht und ergreifend darin, dass das Projekt nicht wie üblich auf Gewinnsteigerung durch teuren Verkauf aus ist. Sonst hätte man villen-gemäßer bauen müssen. Per se jedoch sollte man für Architektur viel weniger ausgeben und auf Nutzung privilegieren, das gilt auch beim Bau von Einfamilienhäusern.

Angesichts der Tatsache, dass in Krampnitz Hitlers letzte Reserve darauf wartete, in den Endkampf geschickt zu werden, ist der eine oder andere vermutlich geneigt, Parallelen zu ziehen oder eine Verknüpfung herzustellen, es handle sich um eine Art Retro-Bunker. Gab es in dieser Hinsicht spielerische Gedanken?

Nein, eigentlich nicht. Natürlich hat der Ort eine verhältnismäßig starke Hypothek, sowohl durch die nationalsozialistische Nutzung der Kaserne als auch die durch die russische Armee sowie die Debatte, was mit dem Kasernengelände passiert, einschließlich der etwas unglücklichen Verkaufssituation. Das wird auch den Charakter der ganzen Gegend verändern. Ich glaube, Ziel kann nicht sein, zu sagen, jetzt habe ich dieses wunderbare Grundstück, es darf kein anderer kommen. Ich bin aber auch froh, dass die Stadt Potsdam, was das Kasernengelände betrifft, aktiv versucht, Gestaltungsoptionen zurückzugewinnen. Zu wünschen wäre, dass viel von der alten Bausubstanz und also der grauen Energie, die darin steckt, erhalten bleibt. Ebenso dass kein reines Wohnviertel mit kleinen Parzellierungen daraus gemacht wird und der preisliche Zugang für jene, die das Bewohnen nicht über Eigentum realisieren können, offen bleibt.

Das Gespräch führte Ralph Findeisen

Arno Brandlhuber ist Architekt und Hochschullehrer. Der 50-Jährige entwarf unter anderem das Neandertal Museum in Mettmann und ist Träger mehrerer Architekturpreise.

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